top of page
Ernst Vitek

Verwahrloste Gesellschaft

Früher, man bezeichnet es gerne als „die gute alte Zeit“, wurden andere Menschen und öffentliche Einrichtungen mit Respekt behandelt. Heutzutage ist es damit anscheinend vorbei.



Wenn der oberste Vertreter einer Partei im Bierzelt, vor seinen Anhängern den Bundespräsidenten als „Mumie in der Hochburg“, wahlweise als „obersten Spalter in diesem Land” oder einfach nur als „senil” bezeichnet wird, welche Vorbildwirkung hat das für uns alle? 

Das Heruntermachen von Repräsentanten anderer Parteien in abschätziger Form, eine Verfassungsministerin als „Ministerin für Verfassungsbruch“ und die Umweltministerin als Hexe zu benennen, zeigt von wenig Haltung und Benehmen und offensichtlichem Mangel an vernünftigen Argumenten.

 

Was ist los mit unserer Gesellschaft? Früher, man bezeichnet es gerne als „die gute alte Zeit“, wurden andere Menschen und öffentliche Einrichtungen mit Respekt behandelt. Heutzutage ist es damit anscheinend vorbei. Was daran ist so schwierig, andere Meinungen zu akzeptieren, in einen Dialog zu gehen und in wertschätzender Form mit anderen Menschen zu kommunizieren?

Nicht unwesentlich zu dieser Entwicklung haben die Social Medias beigetragen. Dort wird zwar nach außen hin das Schließen von Freundschaften mit meist nicht einmal persönlich bekannten Menschen gepflogen, andererseits werden Personen schlecht dargestellt, verhöhnt und verspottet, unmöglich gemacht. Auch Teile der jungen Generation praktizieren solche Verhaltensweisen, mobben Mitschülerinnen, Leute aus ihrem persönlichen Bekanntenkreis. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie weit diese Entwicklung noch gehen wird.

 

Wenn Schüler gegenüber ihren Lehrern aggressives Verhalten zeigen, diese nicht akzeptieren wollen und jegliche Anerkennung der Autorität vermissen lassen, ist das eine bedenkliche Entwicklung, die unbedingt einer Gegensteuerung bedarf. Lehrer haben die Aufgabe Wissen zu vermitteln, das für das weitere Leben, für eine Berufslaufbahn, für den Lebensunterhalt und die Gestaltung des eigenen Lebens unentbehrlich ist. Dementsprechend, wie Medien aufzeigen und Lehrer aus ihrem Schulalltag berichten, weisen solche Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn meist äußerst dürftige Grundkenntnisse auf. Daher sind sie auch meist nicht in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen oder sonst ins Berufsleben einzusteigen. Wie kann sich die Zukunft solcher Menschen gestalten? Das Risiko ist hoch, dass sie sich auf kriminelle Weise betätigen oder als Sozialfälle der Gesellschaft zur Last fallen.     

Vielleicht sind die ethischen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Normen unserer Zeit nicht ganz unschuldig an diesen offensichtlich negativen Strömungen. Wenn Polizisten heutzutage öffentlich beschimpft, verspottet, tätlich angegriffen, in der Öffentlichkeit verächtlich dargestellt werden und jede ihrer Handlungen in Frage gestellt wird, ist das auch ein Angriff auf die staatliche Integrität. Es ist ein Verlust der Achtung von gemeinschaftlichen Einrichtungen, welche den Einzelnen und die Einzelne beschützen und ihnen Sicherheit garantieren soll. Wollen wir wirklich auf diesen Schutz, auf diese Sicherheit verzichten, indem wir alles, was Autorität repräsentiert, in Frage stellen und abwerten?

 

Als 1975 das neue Strafgesetzbuch seine Gültigkeit erhielt, wurden damit Bestimmungen abgeschafft, die bis dahin staatliche Organe, Einrichtungen und Repräsentanten unter einen besonderen Schutz stellten. Seither ist die Gesellschaft angeblich liberaler und offener geworden und scheinbar ist man der Meinung, dass jeder und jede Einzelne das Recht hat, alles in Frage zu stellen und jede Autorität abzulehnen. Nach dem Motto: „Ich bin das Maß aller Dinge und niemand hat das Recht, meine Person in Frage zu stellen und mein Verhalten zu hinterfragen.“

Wie weit das geführt hat, kann man täglich in den unterschiedlichen Me­dien verfolgen: Polizeibeamte werden körperlich attackiert, bedroht und teilweise sogar schwer verletzt oder gar getötet. Es scheint, als hätten staatliche Organe jedes Recht verloren und wären zu Freiwild geworden, an denen man sich abarbeiten, seine Aggressionen ausleben kann. Der Staat als Scheingebilde, der dazu da ist Leistungen zur Verfügung zu stellen, ohne eine Gegenleis­tung zu bekommen. Das ist keine gute Entwicklung unserer Gesellschaft.

Wenn andererseits scheinbare oder tatsächliche Defizite staatlicher Einrichtungen auftauchen, wird von Medien, der Gesellschaft und von Einzelnen scharfe Kritik geübt und es werden diese Einrichtungen in einem Licht dargestellt, die über das normale Maß der Beurteilung menschlichen oder ins­titutionellen Handelns weit hinausgehen. Wir alle machen Fehler. Eine gewisse Fehlerkultur sollte aber in einer Gesellschaft möglich sein, ohne dass man Verursacher von Fehlern jedes Mal an den Pranger stellt.   

Es ist vielfach nicht mehr üblich, früher allgemeingültige Benimmregeln zu beachten. Viele Menschen finden es entbehrlich, Rücksicht auf das Gegenüber zu nehmen. Die extensive, Grenzen überschreitende Handhabung von mobilen Kommunikationsmitteln zum Beispiel nimmt überhand. Auch wenn das für andere störend und unpassend ist, sind diese Geräte überall präsent, unterbinden oft andere normale Kommunikation bzw. stören die Ruhe nicht Beteiligter.

 

Auch Tiere leiden unter diesen aufgezeigten Verhältnissen. Sie werden als Wesen zweiter Klasse behandelt. Sogenannte Nutztiere werden, um möglichst großen Profit zu erzielen, unter häufig prekären Verhältnissen gehalten. Vielfach müssen sie einen tausende Kilometer erfordernden Transport erdulden. Unter furchtbaren Bedingungen werden sie ihrem industrialisierten Tod zugeführt, damit wir dann ihre Produkte konsumieren können. Offensichtlich wirkt dieser Umgang mit Tieren, die in die Nahrungskette eingeschleust werden, auch auf die Konsumenten. Hormonbehandeltes Fleisch, Stress, den diese Tiere beim Transport und bei der Schlachtung erleiden, führt zweifellos dazu, dass der Mensch, wenn er diese Produkte zu sich nimmt, ebenfalls Schaden erleidet. Schließlich speichert das Fleisch all dies und wir essen es bedenkenlos. Ist wirklich jede Achtung vor der Natur, ihren Wesen verloren gegangen? Wird der Bibelspruch „Macht Euch die Erde untertan“ so interpretiert, dass wir das Recht haben, mit der uns ausgelieferten Kreatur anstellen zu können, was immer wir wollen und das Recht des Stärkeren brutal auszunützen?

 

Die Religion sollte ursprünglich dazu dienen, die Menschen dazu anzuleiten, ein gutes, verantwortungsbewusstes Leben zu führen. Was hat sich daraus entwickelt? Es geht nicht mehr darum, eine Gottheit oder einen religiösen Führer zu verehren. Religion wird als Rechtfertigung benutzt, um seine Meinung durchzusetzen, andere Menschen zu verletzen oder zu töten, Kriege zu führen. Sollte Religion nicht die Aufgabe haben, sich gut zu fühlen und sich allenfalls weiterzuentwickeln? Ist wirklich nur die eine Religion die allerbeste oder haben die meisten Religionen nicht – zumindest ursprünglich – einen guten Kern in sich? Ist es notwendig, die eigene Religion in den Vordergrund zu stellen und Anhänger anderer Religionen als Feinde anzusehen, sie zu bekämpfen, zu missachten und sich sogar zu weigern, einander die grundlegenden Gepflogenheiten der wechselseitigen Begegnung und Kommunikation zu bieten?

Keine Religion hat das Recht, Menschen des anderen Geschlechts auf eine niedrigere Stufe zu stellen, ihre Freiheit einzuschränken, sodass sie keine berufliche Tätigkeit oder nur bestimmte Berufe ausüben dürfen. Es ist absurd, Menschen weiblichen Geschlechts Schul- und Ausbildung zu verweigern, ihnen die persönliche Freiheit zu nehmen und quasi jedes Menschenrecht abzuerkennen. Sollte die moderne Gesellschaft nicht in der Lage sein, Toleranz und Akzeptanz zu leben? An mittelalterliche Zustände erinnernde Verhaltensweisen gehören nicht in eine moderne Gesellschaft. Meinungen und Verhaltensweisen anderer Menschen zu akzeptieren sollte jedes menschliche Wesen im Stande sein.

Toleranz scheint in vielen Gesellschaften dieser Welt noch nicht besonders entwickelt zu sein. Angehörige von anderen Ethnien, Religionsgemeinschaften oder Menschen mit besonderen sexuellen Prägungen werden verfolgt, diskriminiert, in einigen Staaten der Welt all ihrer Rechte beraubt oder gar getötet. Es haben alle Menschen das Recht, ihr Leben so zu gestalten, wie es für sie passend und angenehm ist. Sind nicht in Wahrheit diejenigen, die anderen ihre Meinung aufdrängen wollen und Intoleranz üben, die Schwächeren? Ist Unterdrückung ein Mittel, eigene Defizite zu überdecken?

In der heutigen Gesellschaft gewinnt immer mehr der, der es schafft, sich mit seinen Lügen, Halbwahrheiten oder Unwahrheiten einen Vorteil zu verschaffen. Zunehmend wird versucht, andere Menschen in die Ecke zu drängen, um die eigene Person oder die eigene Gesellschaftsschicht, den eigenen Meinungscluster oder den vermeintlich schützenswerten Lebensstil in den Vordergrund zu stellen bzw. zu beschützen. Dies gilt in der Politik, in der Wirtschaft, in Religionen, in der Begegnung von Menschen miteinander. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Verrohung der Sitten, besondere Egomanie und ein unsoziales Verhalten, das zu Benachteiligung, Ungleichheit und Ausgrenzung führt. 

Es wäre wünschenswert, wieder zu einem besseren Umgang mit anderen und letztendlich mit sich selbst zu finden und damit ein neues gesellschaftliches Klima zu fördern. Das könnte uns allen ermöglichen, gut miteinander auszukommen. Wir sollten wieder zurückkehren zu einem Verhalten, wo nicht nur die eigene Person im Mittelpunkt steht, sondern das Miteinander in der Gesellschaft, wo Alte und Kranke, Andersdenkende auch ihren Platz in unserer Mitte haben. Vielleicht kann auf diese Weise unsere schon ziemlich verwahrloste Gesellschaft wieder eine schönere, angenehmere werden.  












1 Comment


alfredaltermann
Nov 16

Sehr guter Komentar mit viel Wünschen und Träumen. Wer ist schuld an der zweifelsfrei traurigen Entwicklung unseres Zusammenlebens? Wir alle, weil wir immer nur zuschauen, kritisierten und Jammern. Wie konnten sich die Sozialen Medien in diese Richtung so entwickeln? Der Mensch neigt dazu sich mit seiner Kritik hinter der Anonymität zu verstecken. Austeilen aber dafür keine Verantwortung zu übernehmen, das ist des Österreichers Mentalität. Siehe Grillparzer ..... da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden .... und noch viel mehr. Die Menschen mit Ecken und Kanten sind ausgestorben.

Alfred Altermann,

Brigadier i. R.

Like
bottom of page