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Missionen über Grenzen

  • Rosemarie Pexa
  • 24. Aug.
  • 6 Min. Lesezeit

Der Kriminalbeamte Christoph Haist über Auslandseinsätze und den „Kulturschock“ nach der Heimkehr.


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In Österreich ist vieles selbstverständlich – etwa, dass die Behörde ausreichend Treibstoff für Einsatzfahrzeuge zur Verfügung stellt, Schießstände umzäunt sind und man nicht fürchten muss, auf eine Mine aufzufahren, wenn man die Straße ver­lässt. Bei Auslandseinsätzen gelten andere Regeln. Hat man sich erst einmal an diese gewöhnt, fühlt sich der ganz normale Arbeitsalltag nach der Rückkehr plötzlich „fremd“ an. Wie er den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Welten erlebt hat, berichtet Bezirksinspektor Christoph Haist, BA, vom Ermittlungsbereich 02 – Raubkriminalität des Landeskriminalamts Wien.

Haists Berufslaufbahn begann 2006 mit der Polizeigrundausbildung in Traiskirchen, bevor er, wie davor geplant, seinen Dienst in Wien antrat. Berufsbegleitend studierte er Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Wiener Neustadt. 2011 wechselte er in den Ermittlungsbereich 04 – Wirtschaftskriminalität des Landeskriminalamts Wien. Er schloss sein Bachelor-Studium ab und absolvierte 2017 den E2a-Kurs. Der Beginn einer „klassischen“ Kriminalistenkarriere, in deren weiterer Folge Haist bei Ermittlungen die Bekanntschaft von korrupten Politikern und betrügerischen Geschäftsleuten hätte machen können. Doch sein Ziel war ein anderes: Auslandseinsätze für die Polizei zu absolvieren.


Ausbildung. 2018 bewarb sich Haist mit Erfolg für den Ausbildungslehrgang für Auslandseinsätze des Bundesministeriums für Inneres. Unterrichtssprache der zweiwöchigen Ausbildung war Englisch, auf dem Stundenplan standen unter anderem Aufbau und Funktion von Auslandsmissionen, Minenkunde und interkulturelle Aspekte. Der praktische Teil umfasste eine Geländefahrausbildung, Orientierung, Einsatztaktik und Erste Hilfe. Im Rahmen von Szenarien wurde geübt, wie man sich z. B. beim Kontakt mit Medienvertretern oder bei Begegnungen mit Angehörigen von Militäreinheiten oder Milizen verhält. „Die Ausbildner haben bewusst Stress aufgebaut, täglich hat es schriftliche Tests gegeben“, erklärt Haist.

Kurz danach bot ihm das BMI an, an einer Ausbildung für Auslandseinsätze an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster teilzunehmen, die von der Agentur der Europäischen Union für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Strafverfolgung (CEPOL) organisiert wurde. Der Unterricht fand auf Englisch statt, setzte sich aus theoretischen und praktischen Einheiten zusammen und schloss mit einer simulierten Geiselnahme ab. Haist ergriff die Chance, während der zweiwöchigen Ausbildung in Deutschland Kontakte zu Kollegen aus anderen europäischen Ländern zu knüpfen. Einen der Teilnehmer traf er später bei seinem Einsatz im Kosovo wieder.

Da ein Auslandseinsatz durch die beiden einschlägigen Ausbildungen in greifbare Nähe gerückt war, nutzte Haist im Arbeitsalltag jede Gelegenheit, um für internationale Missionen relevante Fähigkeiten zu erwerben und weiter auszubauen. „Ich habe begonnen zu schauen, wo ich operativ Dienst machen kann, etwa bei Suchtgiftstreifen“, schildert Haist. Er bewarb sich, was für Kriminalbeamte ungewöhnlich ist, um die Teilnahme an einer Einsatztrainerausbildung. Beim Aufnahmegespräch gab er als Grund für sein Interesse an, dass er im Ausland als Einsatztrainer tätig sein wollte – und wurde aufgenommen.


Montenegro. Im Jänner 2022 war es schließlich so weit: Haist wurde nach Montenegro entsandt, um an einem dreimonatigen bilateralen Einsatz im Rahmen einer EU-Mission mitzuwirken. Die Aufgabe der Österreicher bestand darin, gemeinsam mit der montenegrinischen Grenzpolizei illegale Übertritte von Schmugglern und insbesondere von Migranten zu verhindern – die schwer zu kontrollierende gebirgige Grenzregion ist Teil der Balkanroute. „Wir waren uniformiert und bewaffnet, hatten aber keine Zwangs- und Befehlsgewalt“, so Haist.

Da zur Lagebilderstellung und operativen Unterstützung bei der Überwachung der Grenze Drohnen eingesetzt wurden, hatte Haist vor der Auslandsmission eine Ausbildung zum Drohnenoperator absolviert.  Insgesamt vier Drohnen waren täglich mehrere Stunden lang in der Luft. Die Quadrokopter verfügten über eine visuelle Kamera und eine Wärmebildkamera, ihre maximale Flugdauer betrug rund 30 Minuten, bevor ein Akkuwechsel erforderlich war.

Haist war gemeinsam mit den anderen Österreichern in Ulcinj stationiert, der nahe der Grenze zu Albanien gelegenen südlichsten Stadt Montenegros. Die Zusammenarbeit mit den montenegrinischen Grenzschutzeinheiten beschreibt er als gut, auch wenn sich die sprachliche Verständigung als höchst unterschiedlich – von sehr gut bis fast nicht möglich – herausstellte. Als hilfreich erwies sich ein österreichischer Kollege mit rudimentären Serbokroatisch-Kenntnissen.

Die montenegrinischen Grenzpolizisten wirkten sehr interessiert, auch an der Ausrüstung der Österreicher. Ihre eigene Ausstattung entsprach den eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten. So stellte sich bei einer gemeinsamen Motorbootfahrt auf dem Grenzfluss zu Albanien heraus, dass für das Boot nur begrenzt Treibstoff zur Verfügung stand, weil gespart werden musste. Trotz der knappen Mittel präsentierten sich die Montenegriner als gute Gastgeber. In der Freizeit zeigten sie den Österreichern die schönsten Plätze ihrer Heimat – und die besten Lokale.


Georgien. Während sich Haist in Montenegro aufhielt, marschierten russische Truppen in der Ukraine ein. Das rückte die – nach wie vor aktive – EU Monitoring Mission in Georgien wieder verstärkt ins Rampenlicht. Die reine Beobachtermission war nach dem Krieg, den Georgien und Russland um die von Georgien abgespaltenen Regionen Südossetien und Abchasien geführt hatten, im Jahr 2008 eingesetzt worden. Ihre Aufgabe ist es, die Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens zu überwachen. Unbewaffnete Patrouillen der EU beobachten die Lage entlang der Verwaltungsgrenze, der sogenannten Administrative Boundary Line (ABL).

Von Montenegro aus bewarb sich Haist für die Monitoring Mission und wurde nach einem kurzen Heimataufenthalt für ein Jahr nach Georgien entsandt. Er war im Feldbüro in Gori nahe der administrativen Grenze stationiert. Von dort aus patrouillierten er und seine Kollegen mit Geländefahrzeugen entlang der Grenze, beobachteten Veränderungen auf der anderen Seite, fotografierten und dokumentierten diese. Dazu zählten beispielsweise neue Aussichtsposten oder technische Überwachungseinrichtungen, militärisches Gerät, aber auch Sprengfallen. Abseits der befestigten Straßen bestand – trotz erfolgter Minenräumung – die Gefahr, auf eine Mine aufzufahren.

Haist berichtet von wiederholten Kontakten mit russischen Kräften: „Soldaten in Tarnkleidung sind auf ihrer Seite der Grenze plötzlich aufgetaucht, wenn wir uns angenähert haben. Sie haben ‚Stopp, sonst müssen wir euch festnehmen!‘ gerufen.“ Um Missverständnissen vorzubeugen, waren die Geländewagen klar als Fahrzeuge der EU-Mission erkennbar, jede Patrouille wurde von einem Übersetzer begleitet. Das Gefühl, die Situation könnte jederzeit eskalieren, drückten Haist und seine Kollegen in den Berichten mit der Formulierung, die Lage sei „stabil, aber unvorhersehbar“ aus.


Kosovo. Kurz nach seiner Rückkehr aus Georgien folgte im März 2024 der nächste einjährige Auslandseinsatz, diesmal im Kosovo. Die EU Rule of Law Mission im Kosovo (EULEX Kosovo) ist seit 2008 aktiv und soll die einheimischen Kräfte von Polizei und Justiz unterstützen. Obwohl es sich um eine zivile Mission handelt, beinhaltet sie eine bewaffnete Komponente, welche die zweite Sicherheitsebene über der Polizei des Kosovo bildet. Neben der polnischen Reserveeinheit von 110 Polizisten waren, je nach Jahreszeit, bis zu 250 bewaffnete Kräfte in der Mis­sion.

Dank seiner Einsatztrainerausbildung kam Haist eine besondere Rolle zu: Er fungierte als erster Österreicher im Kosovo als Einsatztrainer und leitete die Schießausbildung für alle Kollegen, die an der Mission teilnahmen. „Wir waren bei jedem Wetter am Schießstand. Es hat keinen Zaun gegeben, wodurch manchmal eine Kuh, eine ganze Schafherde oder auch eine Gruppe Kinder über den Schießplatz gelaufen ist“, schildert Haist die skurrile Situation. Die Erklärung dafür: Zäune sind im Kosovo, eines der ärmsten Länder Europas, heiß begehrt. Wird ein Zaun neu aufgestellt, dauert es oft nicht lange, bis er über Nacht „verschwindet“.

In Haists Zuständigkeit als Schießtrainer fiel auch der Einkauf von Waffen und Munition. Dafür Ausschreibungen zu machen und das für die Anschaffungen bereitgestellte Budget in der Höhe von zigtausend Euro zu verwalten, war eine völlig neue Aufgabe für ihn. Eine weitere Premiere stellte die Tätigkeit als Unterstützung für den Personenschutz dar, für die Haist einen Crashkurs bei den im Kosovo stationierten Cobra-Beamten absolvierte. Wenn ausländische Diplomaten die Mission besuchten, musste ihr Schutz sichergestellt sein.

„Die einheimische Polizei agiert sehr professionell, ist motiviert und versucht trotz bestehender Einschränkungen, das Beste aus der Situation herauszuholen“, lobt Haist seine kosovarischen Kollegen. Diese sind mit einer hohen Korruptionsrate und Fehden zwischen verfeindeten Clans, die mit Waffengewalt ausgetragen werden, konfrontiert. Nicht explodierte Kampfmittel aus dem Jugoslawien-Krieg stellen nach wie vor eine Gefahr dar. Dazu kommen Spannungen zwischen der albanischen und der serbischen Bevölkerungsgruppe.


Heimkehr. In die Zeit von Haists Kosovo-Aufenthalt fiel der errechnete Geburtstermin seines Sohnes. Es gelang ihm, seinen Heimaturlaub so zu legen, dass er bei der Geburt dabei sein konnte. Danach flog er alle zwei Wochen nach Hause zu Frau und Kind. „Wir hatten uns bewusst dafür entschieden, aber es war eine große Herausforderung“, sagt der junge Vater, dessen Prioritäten sich nun verschoben haben. Nach Ende der einjährigen   Mission wollte er in den Kriminaldienst zurückkehren – allerdings nicht in den EB 04, was er mit einem geänderten Interesse und mit Erfahrungen von Kollegen in einer ähnlichen Situation begründet: „Der Kulturschock ist deutlich schlimmer, wenn man in seine frühere Dienststelle zurückkommt. Vieles ist nicht mehr so wie davor.“ Mit Unterstützung seiner Vorgesetzten wagte er einen Neubeginn im EB 02. An eine weitere Auslandsmission denkt er nicht – zumindest vorerst.













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