Eine Studie des Instituts für Konfliktforschung zeigt Risikofaktoren auf und beschreibt unterschiedliche Tätertypen.
Den „typischen Frauenmörder“ gibt es nicht. Bei der Analyse der Polizeilichen Kriminalstatistik und von Gerichtsakten lassen sich allerdings Risikofaktoren erkennen, die auf gewisse Tätertypen zutreffen. In ihrer „Untersuchung Frauenmorde – eine quantitative und qualitative Analyse“ beschreiben Dr. Birgitt Haller, Viktoria Eberhardt, BA Bakk.phil MA, und Brigitte Temel, BA BSc MA, vom Institut für Konfliktforschung charakteristische Merkmale von Tätern und Opfern versuchter bzw. vollendeter Frauenmorde.
Im Zeitraum von 1. Jänner 2010 bis 31. Dezember 2020 weist die Polizeiliche Kriminalstatistik 751 angezeigte Fälle mit weiblichen Opfern aus, davon 312 Morde und 439 Mordversuche. Dabei handelt es sich um 767 Täter bzw. Tatverdächtige (in der Folge als „Täter“ bezeichnet) und 793 Opfer. Die Zahlen unterscheiden sich, da es Fälle mit mehreren Tätern bzw. mehreren Opfern gibt. Von 2014 bis 2019 erfolgte ein Anstieg der Opferzahlen, am Höhepunkt im Jahr 2019 waren insgesamt 104 Frauen (Mädchen sind hier und im Folgenden inbegriffen) Opfer von Morden oder Mordversuchen.
Täter. Der weitaus überwiegende Teil der Täter ist männlich, nur neun Prozent sind Frauen, wobei deren Anteil ab 2017 ansteigt. Bei den Morden und Mordversuchen in familiären Beziehungen, die 59 Prozent der angezeigten Fälle ausmachen, liegt der Anteil der männlichen Täter bei über 96 Prozent. Gibt es ein engeres Beziehungsverhältnis zwischen Täter und Opfer, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Mord vollendet wird. Bei weiblichen Tätern bleibt es häufiger beim Mordversuch.
Beinahe 60 Prozent der Täter sind zwischen 20 und 50 Jahre alt, im Schnitt 43. Die Statistik weist auch einige „Ausreißer“ auf. So war der älteste Täter zum Tatzeitpunkt bereits 95 Jahre alt, der jüngste erst elf. Weniger als acht Prozent der Täter hatten die Volljährigkeit noch nicht erreicht.
Knapp zwei Drittel der Täter sind österreichische Staatsbürger, bei einem Zehntel handelt es sich um Staatsbürger eines anderen EU-Mitgliedstaats. Über 18 Prozent stammen aus Drittstaaten, die damit im Vergleich zu ihrem Anteil in der Bevölkerung deutlich überrepräsentiert sind.
Ein Drittel der Täter verwendete eine Stichwaffe, knapp dahinter liegen Angriffe ohne Einsatz einer Tatwaffe. An dritter Stelle, vor Hiebwaffen, finden sich Schusswaffen. Interessant dabei ist, dass die Täter in über 64 Prozent dieser Fälle ihre Schusswaffe illegal besaßen. Der Einsatz einer Schusswaffe reduzierte die Überlebenswahrscheinlichkeit des Opfers deutlich – sie lag bei rund 37 Prozent. Bei Angriffen ohne Waffen oder mit einer Stichwaffe blieb es in knapp 65 bzw. 63 Prozent der Fälle beim Mordversuch.
Opfer. Das durchschnittliche Alter der Opfer entspricht mit 44 Jahren im Schnitt dem der Täter. Das älteste Opfer war – wie der älteste Täter – 95 Jahre alt, die untere Altersgrenze liegt bei wenigen Wochen. Bei zirka jedem zehnten Opfer handelt es sich um eine Minderjährige. Am stärksten von Mord bzw. Mordversuch betroffen waren Frauen der Altersgruppen 20 bis 29 und 40 bis 49 Jahre.
Ähnlich wie bei den Tätern ist auch bei den Opfern der Anteil der Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft deutlich geringer als ihr Bevölkerungsanteil – 71 zu 87 Prozent. Etwa gleich viele Opfer stammen jeweils aus einem EU-Mitgliedstaat bzw. aus einem Drittstaat. Der größte Anteil an Opfern mit österreichischer Staatsbürgerschaft findet sich bei den 70- bis 79-Jährigen, der geringste bei den unter Neunjährigen.
Täter-Opfer-Beziehung. In 59 Prozent der angezeigten Fälle stehen Täter und Opfer in einer familiären Beziehung zueinander, in der Regel wohnen sie in einem gemeinsamen Haushalt. Das trifft insbesondere auf Opfer unter neun Jahren zu. 10- bis 19-Jährige werden dagegen am häufigsten von Personen aus ihrem Bekanntenkreis getötet oder angegriffen. Bei betagten Frauen ist der Täter meist eine Zufallsbekanntschaft. Die Zahl der Morde bzw. Mordversuche innerhalb der Familie stieg von 2014 bis 2018 an, in über 96 Prozent der Fälle ist der Täter männlich.
Vollendete Morde. Im zweiten Teil der Studie werden ausschließlich vollendete Morde analysiert. Dafür zogen die Autorinnen die Gerichtsakten sämtlicher Verfahren, die zwischen 1. Jänner 2016 und 31. Dezember 2020 eingeleitet wurden, heran. In den Akten sind 137 Frauenmorde dokumentiert, wobei in 74 Fällen – also in mehr als der Hälfte – der Täter der aktuelle oder ein früherer Partner des Opfers war.
122 Akten standen für die Auswertung zur Verfügung. Zwei Strafverfahren wurden gegen jeweils zwei Täter geführt, bei 14 Strafverfahren ging es um mehrere Opfer. In Summe handelte es sich um 113 männliche, neun weibliche und zwei unbekannte Täter sowie um 137 ermordete Frauen.
Die Studienautorinnen stuften 73 Prozent der Morde als Femizide ein. Dieser Kategorie ordneten sie Tötungsdelikte durch einen aktuellen oder früheren männlichen Intimpartner, nicht aber durch eine Intimpartnerin zu. Ebenfalls als Femizide gelten Morde aufgrund der sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität des Opfers, „Ehrenmorde“ und Morde in Zusammenhang mit einer Mitgift.
Beeinträchtigungen. Auffällig war die mit 64 Prozent sehr hohe Anzahl der Täter, die an einer psychischen Erkrankung litten. Über 37 Prozent wiesen körperliche Erkrankungen bzw. Einschränkungen aufgrund des Alters auf. Suchtkrankheiten, zum Teil auch mehrere, waren bei jedem Dritten ärztlich festgestellt worden. Bei jedem vierten Täter mit körperlichen und/oder psychischen Beeinträchtigungen fanden sich Hinweise auf einen problematischen Konsum von Alkohol bzw. Medikamenten.
Knapp 55 Prozent der Opfer waren durch körperliche Einschränkungen aufgrund des Alters gekennzeichnet. Körperliche Erkrankungen bzw. Behinderung, aber auch psychische Erkrankungen und Demenz spielten ebenfalls eine wesentliche Rolle. Viele Opfer hatten auch Probleme mit Alkohol bzw. illegalen Drogen bis hin zur Sucht.
Risikomerkmale. Bei mehr als neun von zehn Tätern konnten im Zuge der Aktenanalyse Hochrisikoindikatoren identifiziert werden, wobei psychische Erkrankungen bei fast jedem Zweiten, bei dem sich Hinweise auf ein erhöhtes Risiko fanden, relevant waren. An zweiter Stelle standen einschneidende biografische Erfahrungen wie der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung; von diesen war fast jeder dritte Täter betroffen. Auch davor ausgeübte Partnergewalt bzw. Morddrohungen, Waffenbesitz und patriarchales Denken erhöhten das Risiko für die Begehung eines Frauenmordes.
Das mit über 21 Prozent am öftesten vorkommende Tatmotiv war Eifersucht in der Partnerschaft, deutlich vor den weiteren häufigen Motiven (angekündigte) Trennung, psychische Erkrankung und ökonomische Gründe bzw. finanzielle Probleme. Bei den Partnerschaftsmorden fand sich in einem Drittel der Akten Anzeichen für eine vom Opfer vollzogene oder angestrebte Trennung, in weiteren 20 Prozent war eine längere Trennungshistorie dokumentiert, aber kein aktueller Vorfall.
Tätertypen. Für die als Femizide eingestuften Morde erstellten die Studienautorinnen eine Tätertypologie. Der mit einem Viertel der Fälle häufigste Typus weist eine jahrelange Geschichte an ausgeübter Partnergewalt auf. Als Beispiel ist in der Studie der Fall eines nach Österreich geflüchteten afghanischen Paares angeführt, das in Österreich eine Tochter bekam. Der Mann schlug seine Frau; er vermutete, dass sie eine Affäre mit dem Gatten seiner Schwester hatte. Die Frau berichtete ihrem Vater am Telefon von den Misshandlungen, woraufhin ihr Ehemann sie mit 28 Messerstichen ermordete.
Der zweite Typus hat ebenfalls bereits in der Vergangenheit Gewalt ausgeübt, und zwar gegen mehrere Frauen in seinem Umfeld. Das war auch bei einem Kärntner der Fall, der seine Ehefrau mit einem Schlagring tötete, eine weitere Frau, mit der er vermutlich eine Affäre gehabt hatte, erschoss und dann Suizid beging. Davor hatte es zweimal wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung ein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen ihn gegeben. Er besaß Waffen, obwohl ihm wegen eines gewalttätigen Beziehungsstreits der Waffenschein entzogen worden war.
Beim dritten Typus betreffen vorausgegangene Gewalttaten Frauen ebenso wie Männer, sowohl im engeren Umfeld als auch darüber hinaus. Der Täter in einem Beispiel aus der Studie war seit Jahren polizeilich aktenkundig, unter anderem wegen Eigentums- und Betrugsdelikten sowie Körperverletzung. Er übte Gewalt gegen seine Partnerin aus, die ihn anzeigte und sich von ihm trennte. Noch vor der Gerichtsverhandlung erstach er sie und wollte auch ihren aktuellen Lebensgefährten töten, doch dieser war nicht zu Hause. Der darauffolgende Suizidversuch scheiterte. Dem Täter wurde eine Persönlichkeitsstörung attestiert.
Im Unterschied dazu ist beim vierten Typus keine Gewaltgeschichte bekannt. Das gilt auch für den Fall eines 58-jährigen Mannes, der seine 60-jährige Frau mit einer legal besessenen Schusswaffe tötete und danach Suizid beging. Aus Abschiedsbriefen ging hervor, dass er sich für einen Versager hielt und seiner geliebten Frau diese „Schande“ ersparen wollte. Bei einem Subtypus dieser Kategorie handelt es sich um Paare in hohem Alter, wobei die Frau oft schwer erkrankt, ihr Mann mit der Pflege überfordert ist und durch einen erweiterten Suizid sein und ihr Leben beenden möchte.
Der letzte – seltenere – Typus steht in Zusammenhang mit einer dysfunktionalen Familie. Betroffen sind in erster Linie Mutter-Sohn-Beziehungen, in denen der Sohn an seiner Mutter Femizid begeht.
In einem in der Studie beschriebenen Fall hatte ein 55-jähriger Mann nach eigener Aussage immer unter den Aggressionsausbrüchen seiner Mutter gelitten, war aber trotzdem wieder bei ihr eingezogen. Er war bereits wegen sexueller Belästigung und versuchter Nötigung verurteilt worden, hatte seine Arbeit verloren und wies einen problematischen Alkoholkonsum auf. Nach der Tat unternahm er einen Suizidversuch.
Comments