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  • Rosemarie Pexa

Die Gefährlichkeit reduzieren

In der JA Wien-Mittersteig sollen Insassen lernen, ihre Störungen zu kontrollieren.


Strafvollzugsbedienstete, die in der Justizanstalt Wien-Mittersteig ihren Dienst versehen, sind mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert: mit der Betreuung von männlichen psychisch kranken zurechnungsfähigen Straftätern. Dass es dabei um mehr geht als um die Bewachung der als gefährlich eingestuften Personen, betont die Anstaltsleiterin Hofrätin Dr. Katinka Keckeis: „Man muss sich auf diese Klientel einlassen. Es ist von Vorteil, wenn man bereits Erfahrungen mit psychiatrischen Patienten gesammelt hat.“

Die Delikte, die zur Einweisung geführt haben, reichen laut Keckeis von gefährlicher Drohung bis Mord. Der überwiegende Teil der Inhaftierten ist wegen Sexualstraftaten, insbesondere an Kindern, verurteilt worden. Die Anzahl der Personen, die Gewaltstraftaten begangen haben und eine Impulskontrollstörung aufweisen, steigt, ebenso der Anteil jener, die unter einer Suchterkrankung leiden. „Die Insassen haben oft keine Grenzen erfahren. Bei ihnen fungiert der Maßnahmenvollzug als Korrektiv: Bis hierher kann man gehen, aber nicht weiter“, so die Anstaltsleiterin.

Die aktuell geltenden Kriterien für die Einweisung in den Maßnahmenvollzug für Erwachsene sind die Begehung eines Delikts mit einem Strafrahmen von über einem Jahr, die Einstufung des Täters aufgrund einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung als gefährlich und die Befürchtung der Begehung weiterer gerichtlich strafbarer Handlungen mit schwerwiegenden Folgen. Jugendliche und junge Erwachsene hingegen können erst ab einer Strafandrohung, deren Höchstmaß mindestens zehn Jahre beträgt, in den Maßnahmenvollzug eingewiesen werden.

Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass die Untergebrachten eine besondere Bedrohung für das Personal oder für andere Insassen darstellen, erklärt die Psychologin Mag. Joanna Eckhart, Therapeutische Leiterin der Justizanstalt Wien-Mittersteig: „Die intramurale Gefährlichkeit und die Gefährlichkeit draußen sind unterschiedlich. Jemand, der draußen gefährlich ist, kann sich hier angepasst verhalten.“


Kommunikation. Um besser einschätzen zu können, welche Gefahr ein Insasse tatsächlich darstellt, spielt die Kommunikation zwischen der Justizwache und den Fachdiensten eine zentrale Rolle, ist Eckhart überzeugt. Während die Mitarbeiter von psychiatrischem, psychologischem und ergotherapeutischem Dienst eine Fünf-Tage-Woche haben, sei die Justizwache an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden im Einsatz, so Oberst Harald Kuntner, Stellvertretender Anstaltsleiter, Wirtschaftsleiter und Leiter der Außenstelle Floridsdorf. Daher bekommen sie auch mit, wie sich ein Insasse z. B. in der Nacht oder am Wochenende verhält. Diese Informationen fließen in die Behandlung ein.

Ein wesentlicher Faktor für den Behandlungserfolg ist der Personalschlüssel. „Die 81 Planstellen für das Haupthaus und die Außenstelle Floridsdorf sind alle besetzt. Wir würden uns jedoch insgesamt mehr Personal wünschen“, erklärt Revierinspektor Alexander Nebauer, Kommandant der Einsatzgruppe, Hauptsachbearbeiter der Ausbildungsstelle, Sicherheitsbeauftragter und IT-Leitbediener. Die Anforderungen würden jährlich steigen, doch der Personalstand sei nicht immer mitgewachsen.

Der Wissensstand der Justizwachebeamten muss auch an die Veränderungen in Bezug auf die Erkrankungen der Insassen angepasst werden. Dazu dienen einerseits Fortbildungen auf der Strafvollzugsakademie, andererseits hausinterne Schulungen. Für neue Kollegen, die noch nicht mit psychisch kranken Tätern gearbeitet haben, wurde ein spezielles Indoor-Modul entwickelt, in dem beschrieben wird, welche Störungsbilder es gibt, worauf man achten muss und wie man mit den Erkrankten umgehen sollte. „Der Täter kann zum Beispiel überzeugt sein, dass das, was er tut, dem Kind nicht schadet“, bringt Eckhart ein Beispiel für eine Störung der Sexualpräferenz.


Information. Wird ein Insasse aus einer anderen Justizanstalt überstellt, werden Informationen über den Neuzugang eingeholt, so Keckeis. Die Grundlage, um einen Betreuungs- und Behandlungsplan für den Betroffenen erstellen zu können, liefert das Gutachten der Clearingstelle für den Maßnahmenvollzug. Die laufende Beobachtung der Insassen soll dafür sorgen, dass Warnsignale für ein erhöhtes Risiko rechtzeitig erkannt werden. „Die Kollegen sind auf Stimmungsschwankungen und Verhaltensänderungen sensibilisiert. Werden diese wahrgenommen, klärt man es in Zusammenarbeit mit dem psychologischen Dienst ab“, erläutert Kontrollinspektor Mario Buzzi, Kommandant in der Justizanstalt Wien-Mittersteig.

Die Justizwachebeamten sind oft die ersten Ansprechpartner, wenn ein Insasse ein Anliegen hat. „Ob er bekommt, was er möchte, hängt davon ab, inwieweit es anstaltstechnisch vertretbar, sicherheitstechnisch machbar und gut für ihn ist“, so Nebauer. Aufgrund der im Vergleich zu anderen Justizanstalten geringeren Anzahl an Insassen kennen die Bediensteten die Untergebrachten persönlich und können daher einschätzen, in welchen Situationen es zu Problemen kommen könnte. Als Beispiel nennt Nebauer den Besuch eines Angehörigen, dessen Sorgen auch den Insassen belasten. In einem derartigen Fall wird ein Gespräch mit einem Fachdienst arrangiert.

Die Hauptaufgabe des Maßnahmenvollzugs ist es, die Gefährlichkeit der Insassen zu reduzieren. Wie das gelingen kann, beschreibt Keckeis folgendermaßen: „Der gesamte Maßnahmenvollzug soll ein therapeutisches Milieu schaffen: mit medikamentöser und klinisch-psychologischer Behandlung, Psychotherapie, Beschäftigungs- und Freizeitangeboten.“ Da sich die Faktoren, die zur Gefährlichkeit eines Insassen beitragen, individuell unterscheiden, kommen verschiedene Therapieansätze zur Anwendung. So steht z. B. beim deliktspezifischen Ansatz die Beschäftigung mit der Deliktdynamik im Vordergrund. Ein Einwirken auf die störungsspezifischen Aspekte wiederum hilft, beispielsweise die Impulsivität in den Griff zu bekommen.


Therapie. „Es ist wichtig, gleich am Anfang die Motivation für die Behandlung zu wecken. Die Insassen nehmen Störungen selbst oft nicht als problematisch wahr. Wir versuchen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die geplanten Behandlungen, die verschriebenen Medikamente und die Therapie sinnvoll für sie sind“, so Eckhart. Die Insassen werden regelmäßig vom Behandlungsteam betreut, besuchen zusätzlich einmal pro Woche entweder eine 50 Minuten dauernde Einzeltherapieeinheit oder eine 90-minütige Gruppentherapieeinheit. Als Behandlungserfolg würde man laut der Psychologin neben dem Erkennen der Problembereiche auch konkrete Veränderungen auf der Verhaltensebene werten. Störungen der Sexualpräferenz sind nicht „heilbar“, der Betroffene kann jedoch lernen, sie zu kontrollieren.

Viele Insassen profitieren von der Beschäftigung in der Ergotherapie-Werkstatt. Unter Anleitung eines Ergotherapeuten werden hier unter anderem Taschen, kleine Möbel und Dekorationsgegenstände hergestellt. Ergotherapeut Mag. Samir Medani beschreibt, wie er auf einem „Umweg“ über das Werkstück Zugang zu einem schizophrenen Insassen gefunden hat: „Wenn man ihn fragt, wie es ihm geht, reagiert er paranoid, man kann ihn nicht auf der persönlichen Ebene ansprechen. Aber wenn man ihn ersucht, ein Kästchen herzustellen und ihm die Maße gibt, macht er es und redet dann auch über sein Werkstück.“


Arbeit. Mitunter gelingt es, einen Insassen durch die Tätigkeit in der Ergotherapie-Werkstatt auf die Arbeit in den Anstaltsbetrieben vorzubereiten. In Abstimmung mit dem jeweiligen Betriebsleiter wird festgelegt, wie viele Stunden pro Tag ein Insasse arbeiten kann, ohne sich zu überfordern und damit den Therapiefortschritt zu gefährden. Wenn möglich, steigert man die Stundenanzahl langsam. Arbeiten in der Anstaltsküche, der Wäscherei, der Tischlerei, der Hauswerkstätte und als Hausarbeiter stehen zur Auswahl. Zusätzlich gibt es einen Unternehmerbetrieb für Aufträge von Akteuren der freien Wirtschaft. „Derzeit werden im Unternehmerbetrieb Erste-Hilfe-Pakete für das Rote Kreuz zusammengestellt“, so Kuntner.

Wenn das Bundesministerium für Justiz das Vorhaben, Vollzugslockerung durchzuführen, zur Kenntnis nimmt, können Insassen als sogenannte „Freigänger“ ohne Begleitung in die Arbeitstherapeutische Werkstätte Mollardgasse gehen und dort arbeiten, bis sie einen Job am regulären Arbeitsmarkt gefunden haben. Außerdem besteht – ebenfalls mit Genehmigung – die Möglichkeit, eine Lehre in der Justizanstalt Wien-Simmering zu absolvieren. Am Mittersteig selbst werden zwar keine Lehrausbildungen angeboten, aber Deutschkurse, Hauptschulabschluss und Fernmatura.


Freizeit. Neben Arbeit steht auch Freizeitgestaltung auf dem Programm. Die Insassen haben die Auswahl zwischen verschiedenen Ballsportarten, Tischtennis, Tischfußball, Darts, Pool Billard und einer von Justizwachebeamten geleiteten Gruppe für Gesellschaftsspiele. Kulturell Interessierte können Lesungen, Diavorträge und Theateraufführungen, die zumindest quartalsweise stattfinden, im Haus besuchen oder sich in einer Schreibgruppe selbst schriftstellerisch betätigen. „Es gibt auch eine von Bediensteten angeleitete Koch- und Backgruppe, die bei den Insassen sehr gut ankommt“, sagt Buzzi.

Sämtliche Aktivitäten folgen einem genauen Zeitplan. „Es soll ein Tagesablauf wie in Freiheit, mit Arbeit und sinnvoller Freizeitbeschäftigung, nachgebildet werden“, so Kuntner. Um 7 Uhr öffnen alle Abteilungen. Nach Frühstück und Standeskontrolle gehen die Insassen an ihre Arbeitsplätze. Um 11 Uhr beginnt das Mittagessen, dann kehren die Insassen für die Mittagspause, die bis 12 Uhr dauert, in die Abteilungen zurück. Der Nachmittag wird mit Arbeit und Freizeit bis zum Abendessen verbracht. Der Tag endet schließlich mit der Nachtruhe um 22 Uhr.


Lockerungen. Die Zeit, in der sich die Insassen im Haftraum aufhalten müssen, soll möglichst stressfrei verlaufen. „Im Unterschied zu anderen Justizanstalten haben wir hier nur Ein- und Zwei-Mann-Hafträume, was den Insassen eine Rückzugsmöglichkeit bietet. Die Räume im gelockerten Wohngruppenvollzug sind auch nachts nicht versperrt“, erklärt Keckeis. Kuntner ergänzt: „Es gibt die sogenannte Hotelsperre: Der Insasse kann seinen Haftraum von innen verschließen und damit selbst entscheiden, welche anderen Insassen er hereinlässt.“ Die Justizwache hat natürlich die Möglichkeit aufzusperren.

„Wir gewähren Lockerungen erst dann, wenn wir uns sicher sind, dass diese nicht missbraucht werden. Dabei gehen wir Schritt für Schritt vor“, betont Nebauer. Bevor ein Häftling schließlich entlassen wird, prüft das Gericht genau, ob er noch eine Gefahr darstellt.

Die meisten Insassen werden in einer betreuten Wohneinrichtung aufgenommen. Eine Fortführung der Therapie und eine Kontrolle durch die Bewährungshilfe müssen gewährleistet sein. „Bei Maßnahmenuntergebrachten gibt es Weisungen über die Haft hinaus. Wir haben Verantwortung für unsere Mitarbeiter, für die Insassen und für die gesamte Gesellschaft“, so Keckeis.










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