Oberst Dietmar Berger, BA MA, stellvertretender Leiter des Ermittlungsdienstes im Landeskriminalamt Wien, im Porträt.
Mitwirkung an zahlreichen Großeinsätzen und Projekten, die Tätigkeit in unterschiedlichen Ermittlungsbereichen, mehrere Auslandsaufenthalte – eine umfassende Beschreibung der beruflichen Laufbahn von Oberst Dietmar Berger, BA MA, würde viele Seiten füllen. Der stellvertretende Leiter des Ermittlungsdienstes im Landeskriminalamt Wien hat die Möglichkeit, bei der Polizei in verschiedenen Bereichen Erfahrungen zu sammeln, ausgiebig genutzt. Die Abwechslung schätzt er an seinem Beruf besonders.
„Bei der Polizei hat es mir gleich gefallen. Man weiß nie, was einen im Lauf des Tages erwartet“, so Berger über seinen Einstieg in einen Beruf, zu dem er per Zufall kam. Der Steirer absolvierte nach der Pflichtschule die Höhere Technische Bundeslehranstalt für Maschinenbau in Kapfenberg, merkte aber bald, dass die ursprünglich geplante Laufbahn als Techniker doch nicht das Richtige für ihn war. Also nahm er den Vorschlag eines Bekannten, der Polizeioffizier in Wien, war an und bewarb sich in der Bundeshauptstadt bei der Polizei.
1994 begann die Karriere des damals 20-jährigen Berger bei der Polizei. Den Berufsalltag lernte er als Polizeischüler zuerst im 17., dann im 15. Bezirk kennen. An seine „erste Leiche“, einen in seiner Wohnung in Rudolfsheim-Fünfhaus eines natürlichen Todes gestorbenen älteren Mannes, kann er sich noch genau erinnern: „Der Tote ist schon länger in der Wohnung gelegen und die Verwesung war dementsprechend fortgeschritten. Meine Aufgabe, eine klassische Schülerarbeit, war es, bis zur Abholung bei der Leiche zu wachen.“
Dealer und Diebe. Bergers erste Dienststelle als Eingeteilter Beamter war das Wachzimmer am Urban-Loritz-Platz im 7. Bezirk. Neubau zählte nicht zu seinen „Wunschbezirken“, doch dann war er froh, dort mehrere Jahre – von 1996 bis 2003 – verbringen zu können. Das Wachzimmer am Gürtel bot ihm die Gelegenheit, die unterschiedlichsten polizeilichen Aufgaben kennenzulernen.
Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildete die Bekämpfung des Drogenhandels, der von Schwarzafrikanern dominiert wurde. Berger berichtet von der „Unterstützung“ bei einer Amtshandlung, die in die Kategorie „gut gemeint ist das Gegenteil von gut“ fiel: Er beobachtete einen Suchtgifthandel bei der U6-Station Gumpendorfer Straße und schritt gemeinsam mit einem Kollegen ein, um den Dealer, einen Afrikaner, festzunehmen. Als dieser massiven Widerstand leistete, kam der Besitzer eines nahen Army-Shops mit einem Pfefferspray zu Hilfe und erwischte damit nicht nur den Dealer, sondern auch Berger. Beide mussten ins Spital gebracht werden.
Ein weiteres Betätigungsfeld waren – zum Teil unter Suchtgifteinfluss begangene – Verkehrsdelikte. Mit der Mariahilfer Straße befand sich auch eine Einkaufsmeile in Bergers Rayon, die ihm und seinen Kollegen aufgrund zahlreicher gewerbsmäßiger Laden- und Taschendiebstähle eine Menge Arbeit bescherte. Mit Verstößen gegen das Fremdenrecht war man am Wachzimmer Urban-Loritz-Platz ebenfalls häufig beschäftigt.
Den Kriminalbeamtenkurs hätte Berger bereits 1999 besuchen können, doch er zog es vor, im 7. Bezirk zu bleiben. 2003 ließ er sich die Chance auf den 35. zentralen Grundausbildungslehrgang jedoch nicht entgehen. „Das war der letzte zGAL in der herkömmlichen Form, der aber schon hybrid abgehalten worden ist. Für uniformierte Gendarmen und Polizisten sowie für Kriminalbeamte in Zivil hat es je nach Gegenstand bzw. Lehrinhalt getrennte oder teilweise auch gemeinsame Klassen gegeben“, so Berger.
KK Mitte. Von 2004 bis 2009 machte Berger im neu geschaffenen Kriminalkommissariat Mitte Dienst. Als Hauptsachbearbeiter war er für die Bekämpfung der Suchtmittel- und später auch der Gewaltkriminalität zuständig. Mit Hilfe von Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen, die davor nur das Sicherheitsbüro durchführen durfte, gelang es, zahlreiche Täter auszuforschen und festzunehmen.
Eine besondere Herausforderung für die Kriminalisten stellten die sogenannten „Shit-Hütten“ dar. Dabei handelte es sich um ohne Genehmigung eröffnete Lokale, die großteils von Strohmännern geführt wurden und binnen kurzer Zeit in ganz Wien, vor allem aber im 2., 15. und 17. Bezirk, aufpoppten. Wer dort einen „Eistee“ bestellte, der bekam zusätzlich zum Getränk Marihuana. Durch das Zusatzgeschäft mit dem Eistee verdienten die Täter doppelt. Auch durch Bergers Gruppe konnte eine große Anzahl von „Hütten“ geschlossen werden.
Aufgrund der Polizeireform waren die Kurse für leitende Beamte fünf Jahre lang ausgesetzt, wodurch sich entsprechend viele Interessenten bewarben, darunter auch Berger – mit Erfolg. Dass es sich nicht um eine E1-Grundausbildung in der gewohnten Form handelte, sondern erstmalig um ein Bachelor-Studium an der Fachhochschule Wiener Neustadt, erfuhren die Teilnehmer erst einen Monat vor Beginn. Während des Studiums war Berger weiter im Kriminalkommissariat Mitte tätig.
Wachkörper-Zusammenlegung. Im Rahmen der Ausbildung absolvierte er mehrere Praktika, darunter gemeinsam mit einem Kollegen ein Auslandspraktikum in Belgien. Dort wurde die Zusammenarbeit zwischen den Wachkörpern neu organisiert, nachdem mangelhafte Kommunikation die Ermittlungen gegen den Sexualstraftäter und Mörder Marc Dutroux erschwert hatte. Eine mit Österreich vergleichbare Zusammenlegung der Wachkörper gab es jedoch nicht.
Berger und sein Kollege erhielten Einblicke in das belgische System, um daraus Erkenntnisse für Österreich gewinnen zu können. Diese fassten sie in einer gemeinsamen Bachelorarbeit mit dem Titel „Die Reform der Polizei in Belgien und deren Organisation im Vergleich zur österreichischen Exekutive“ zusammen. „Für ein kleines Land wie Österreich war die Zusammenlegung der Wachkörper die richtige Lösung“, bringt Berger seine Schlussfolgerungen auf den Punkt.
Diesem Thema widmete Berger später auch seine Masterarbeit „Zusammenlegung vollzogen? Wechsel zwischen Dienst in Uniform und in Zivilkleidung“ zum Abschluss seines Masterstudiums von 2017 bis 2019. Bergers Fazit: „Zwischen Kriminaldienst und uniformierter Polizei zu wechseln ist möglich und wird auch – allerdings selten – gemacht.“
Ermittlungsdienst. Im September 2009 war Berger einen Monat lang als Leitender Beamter im Einsatzreferat des Stadtpolizeikommandos 15 tätig, bevor er – ebenfalls als Leitender Beamter – zum Ermittlungsdienst des Landeskriminalamts Wien kam. Er wirkte an mehreren Projekten mit, unter anderem an Planung, Organisation und Leitung der österreichweiten KDFR-Fortbildungsveranstaltungen des Ermittlungsbereichs 04 Wirtschaftskriminalität.
Seit 2018 ist Berger stellvertretender Leiter des Ermittlungsdienstes des Landeskriminalamtes Wien. In diese Zeit fiel auch der Terroranschlag in Wien am 2. November 2020. Dieser Tag war für Berger der letzte seiner Quarantäne aufgrund einer Erkrankung mit Covid-19. Er ließ am Abend den Quarantäne-Bescheid beim Journaldienst der zuständigen BH aufheben, um den Einsatzstab im Ermittlungsdienst leiten zu können. „Der Weg des Täters hat mit der zunächst bekannten Position der Opfer nicht zusammengepasst, da diese durch Polizei, Rettung und andere Leute ortsverändert worden sind“, nennt Berger einen Grund, warum die Polizei vorerst Angriffe durch mehrere Täter vermutete. Er war in der Folge als einer der Vertreter des LKA Wien Mitglied in der Arbeitsgruppe „Evaluierung Terroranschlag“ der DSN.
Raub und Mord. Ebenfalls während der Pandemie ereignete sich ein Raubüberfall am Rennbahnweg, bei dem eine unbeteiligte Frau angeschossen und schwer verletzt wurde. Der Täter konnte zunächst flüchten. Berger blieb der Fall im Gedächtnis, weil der Täter, der später in Haft Suizid beging, einen Abschiedsbrief an die Polizei schrieb. Im April 2023, nach seinem letzten Banküberfall, wurde er festgenommen. Ihm konnten neun Banküberfälle nachwiesen werden. „In dem Abschiedsbrief hat er sich als 'Robin Hood' dargestellt, der alles nur für seine Familie getan hat. Tatsächlich hat er die Hälfte des erbeuteten Geldes anderweitig ausgegeben“, schildert Berger. In dem Brief beschrieb der Täter auch, wo er Bargeld und Waffen, darunter eine automatische Waffe, versteckt hatte, welche die Polizei aufgrund des Hinweises fand.
Bis zum Sommer 2023 leitete Berger im Ermittlungsdienst den Ermittlungsbereich 01 Leib/Leben und war auch mit Mordfällen konfrontiert, die in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgten. Dazu zählten im Jahr 2021 die Morde an der 13-jährigen Leonie und an der Trafikantin in Wien-Alsergrund. In beiden Fällen konnten für den Nachweis der Taten wichtige Bildaufnahmen, vom Handy bzw. von der Überwachungskamera, gesichert werden.
Um solche Erlebnisse bewältigen zu können, sei es wichtig, Dienst und Privatleben zu trennen, betont Berger. Bei besonders belastenden Einsätzen könne es auch helfen, mit Kollegen darüber zu sprechen – etwa nach tödlichem Waffengebrauch. Berger ist Leiter des Waffengebrauchs-Ermittlungsteams Wien und war in dieser Funktion heuer unter anderem mit dem Fall des mit einer Machete bewaffneten, von einem Polizisten erschossenen Angreifers im burgenländischen Bad Sauerbrunn befasst.
FBI-Academy. Einer der Höhepunkte seiner Karriere war für Berger der Aufenthalt im FBI-Trainingszentrum in Virginia, USA. Er nahm 2022 an der 281. Session der FBI National Academy teil. Die Ausbildner, zum Großteil Angehörige des FBI, brachten in die von ihnen abgehaltenen Kurse zu unterschiedlichen kriminalpolizeilich relevanten Themen ihre jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen ein. Bei einem der Sporttests, dem legendären Hindernislauf auf der 6,1 Meilen langen „Yellow Brick Road“, konnte Berger seine Kondition unter Beweis stellen. Während der Ausbildung lernte er Kollegen aus aller Welt nicht nur als Polizisten, sondern ebenso als Menschen kennen.
„Nach wie vor bin ich auch operativ tätig und kann in meinem Rahmen viel gestalten“, nennt Berger die Vorzüge seiner derzeitigen Tätigkeit. Der Generationenwechsel bei der Polizei, der nur dann gelingt, wenn erfahrene Kollegen ihr Wissen rechtzeitig an die Jüngeren weitergeben, zählt für ihn aktuell zu den größten Herausforderungen. Eine weitere ist die Jugendkriminalität mit immer jüngeren Tätern, bei der es sich, so Berger, auch um ein „soziales Problem“ handelt.
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