„Wann wird jene Zeit kommen, in der ein Krieg ebenso ein Unding der Vernunft sein wird, wie ein Trugschluss schon heute ein logisches Unding ist?“ (Adalbert Stifter)
Angesichts der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit, insbesondere zwischen der Ukraine und Russland, sowie Israel und den Palästinensern, weil diese Kriege Europa besonders betreffen, angesichts der milliardenschweren Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und zunehmender Flüchtlingsströme, parteiergreifender Unruhen und Proteste in ganz Europa und den USA, wird der Wunsch der meisten Menschen nach Frieden immer dringender.
Die russische Aggression in der Ukraine, die massiven Drohungen des Langzeitpräsidenten Putin mit Atomwaffen gegen alle NATO-Staaten, unter gleichzeitiger Zuspitzung der beide Lager durchziehenden ideologischen Gegensätze, der brutale, menschenverachtende Angriff der Hamas auf Israel und der, die Zivilbevölkerung nicht schonende, ebenso brutale Gegenschlag der israelischen Armee, hat den, wenn auch nur unter dem Gleichgewicht des Schreckens geträumten Traum vom „ewigen Frieden“ ziemlich abrupt enden lassen.
Der Glaube, dass Abschreckung, internationale Verträge und zur Erhaltung des Friedens geschaffene internationale Organisationen einen Krieg verhindern können, hat sich seit Putins Überfall auf die Ukraine und jenen der Hamas auf Israel, zumindest weitgehend, als Aberglaube herausgestellt. Die Menschheits- und Kulturentwicklung ist trotz der ungeheuren Bedrohung durch das Atomwaffenarsenal der Supermächte, der Atomkraft in militärischen Händen, dem Traum vom ewigen Frieden keinen Schritt näher gekommen. Die Welt ist heute weit weniger friedlich als noch vor fünfzehn Jahren. Laut dem Uppsala Conflict Data Program (UCDP) gab es 2022 insgesamt 55 Konflikte mit staatlicher Beteiligung, darunter acht Kriege. Die Zahl der getöteten Menschen verdoppelte sich im Vergleich zu 2021 etwa auf 238.000.
Die Massenvernichtung, als stets drohende Gefahr in jedem Krieg an dem eine Atommacht beteiligt ist, versetzt die Menschheit nicht mehr in Panik. Wir haben gelernt, mit dieser Gefahr zu leben, sind beinahe abgestumpft dagegen. Trotz der Tatsache, dass der Fanatismus international überhand nimmt und Wahnwitz zunehmend den Verlauf politischer Aktionen auf allen Ebenen bestimmt, mag es beinahe als geschmacklos empfunden werden, wenn man von den Konsequenzen dieser alles vernichtenden Kampfmittel spricht.
Dass uns, angesichts der Zuspitzung internationaler Konflikte, noch keine apokalyptische Weltkatastrophe heimgesucht hat, scheint eher Glücksache zu sein, als das Ergebnis diplomatischer Bemühungen. Das Vertrauen ist unbegründet, dass die Übereinstimmung von zufälligen Fakten und Faktoren, die uns in den letzten Jahren eine Gnadenfrist in relativen Frieden und Sicherheit schenkte, unendlich andauern werde. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass ohne entschlossene, vernunftgeleitete Bemühungen zur Beendigung der gegenwärtigen kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit, mit inbegriffen die Errichtung einer praktikablen Ordnung der Welt, in der ein dauerhafter Friede gesichert ist, in einem Zustand labilen Gleichgewichts am Rande der Vernichtung bleiben wird.
Was also ist Friede? Es gibt, ebenso wie für den Begriff Krieg, keine allgemeingültige Definition für das, was wir Frieden nennen. Durch Jahrtausende wurde Friede lapidar als die Abwesenheit von Krieg definiert. Seit 1920 (Völkerbund) gehört zu einem Frieden auch politische und soziale Sicherheit. Seit Schaffung der Vereinten Nationen wird auch gefordert, dass den Opfern, etwa durch die Verfolgung von Kriegsverbrechen, Gerechtigkeit widerfährt.
Die christliche Ethik definiert Friede als durch die Gültigkeit des Rechts gekennzeichnet, als Zustand nach Beendigung eines Krieges durch Vertrag („negativer Friede“) oder als Zustand rechtlich geregelter und an humanen Leitprinzipien orientierter Lösung politischer, sozialer und rechtlicher Konflikte („positiver Friede“), nicht aber als konfliktfreier Zustand. Kants Zuversicht, dass sich als Bedingung des Friedens in der Geschichte das Gute gegen die zerstörerische Kraft des Bösen durchsetzt ( I. Kant, Zum ewigen Frieden), kann zumindest derzeit nur als zukunftsgerichtete Hoffnung gesehen werden.
Die christliche Ethik lehnt zwar den Krieg als bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten ab, hält ihn aber als äußerstes Mittel zur Wiederherstellung der Rechtsordnung und des Friedens nach Ausschöpfung aller vernünftigen und friedlichen Mittel für gerechtfertigt.
Allgemein gewollt wird eine Welt, in der das Verhältnis der Staaten zueinander auf Verträgen basiert, eine umfassende Sicherheitsarchitektur, die es ermöglicht, alle Konflikte politisch und nicht militärisch zu lösen. Bis vor kurzer Zeit galt eine Sicherheitsordnung, die darauf gestützt war, dass es Regeln gab, die von allen eingehalten wurden. Diese Sicherheitsordnung hat Wladimir Putin am 24.Februar 2022 mit seinem Überfall auf die Ukraine zerbrochen. Diese Regelung existiert nicht mehr. Notwendig wäre eine Sicherheitsarchitektur, die mit Garantien ausgestattet ist, in der sich alle Staaten , vor allem auch die kleinen Staaten, sicher fühlen können.
Gefordert wird stets ein „gerechter Friede“! Aber unnachgiebig geforderte und erstrebte Gerechtigkeit ist nur in einem sehr eingeschränkten und letztlich sogar perversen Sinn noch Gerechtigkeit. Das gewaltsame Ringen um einen gerechten Frieden bringt stets grauenhaftes Leid zahlloser ziviler Opfer, vor allem Kinder. Zumindest diesen Kriegsopfern wird in den Kriegen, die im Namen der Gerechtigkeit geführt werden, das ihnen gebührende Maß an Gerechtigkeit vorenthalten.
Gerechtigkeit gilt nur dann als ein Wert von hohem Rang, wenn sie mit vernünftigen Mitteln angestrebt wird. Dies macht die Vernunft zu einem entscheidenden Faktor bei der Verwirklichung eines gerechten Friedens.
Wie enden dann Kriege, wie kommt es dann zum Frieden? Kriege können auf ganz unterschiedliche Weise enden. Durch Kapitulation, einen militärischen Patt oder durch Intervention Dritter. Selten kommt es vor, dass eine Kriegspartei ihre Niederlage anerkennt. Ein Beispiel ist die Kapitulation der deutschen Wehrmacht 1945. Rund ein Drittel aller Kriege werden durch einen Waffenstillstand beendet – meist dann, wenn beide Kriegsparteien militärisch erschöpft sind. Allerdings mündet weder ein Waffenstillstand noch eine militärische Erschöpfung zwangsläufig in ein stabiles Friedensabkommen. Der Krieg kann immer wieder aufflammen. Manche Historiker sehen in einem Waffenstillstand sogar eine große Gefahr: Der Krieg oder zumindest eine sehr instabile Lage könnten verlängert werden. Der Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea wurde vor 70 Jahren vereinbart, ein Friedensabkommen gibt es bis heute nicht.
Eine zentrale Voraussetzung für den Frieden ist, dass die Kriegsgegner miteinander sprechen. Idealerweise endet dann ein Krieg am Verhandlungstisch. Es kann keinen Frieden ohne Kommunikation geben und dazu braucht es kluge, weitsichtige Vermittler.
Die wichtigste Voraussetzung für Friedensverhandlungen besteht darin, dass die kriegführenden Parteien darauf vertrauen können, dass es der jeweils andere mit dem Friedensschluss auch tatsächlich ernst meint. So hat die Ukraine überhaupt keinen Grund Russland bei etwaigen Verhandlungsangeboten zu vertrauen. Wegen dieses Vertrauensproblems besteht bei der Ukraine der starke Wille den Krieg fortzusetzen.
„Diktatfrieden“. Abgesehen davon sind die Verhandlungsangebote Putins genau das, was man einen „Diktatfrieden“ nennt. Wie und worüber soll verhandelt werden, wenn eine rechtlich eindeutige Situation vorliegt, wie eben beim Krieg zwischen Russland und der Ukraine? Russland hat international unumstrittene Grenzen verletzt, Menschen, vor allem Kinder entführt und zivile Einrichtungen zerstört. Wenn nicht einmal ein Mindestkonsens, wie ein grundsätzliches Bekenntnis zu Frieden und dem internationalen Recht vorliegt, erscheinen Verhandlungen kaum aussichtsreich.
Der Russland-Experte Hans-Henning Schröder hat bereits Anfang 1923 erklärt, dass der Krieg zwischen der Ukraine und Russland enden könnte, wenn man die Verteidigungskraft der Ukraine derart stärkt, dass Russland erkennen muss, dass es diesen ungerechten Krieg nicht einfach gewinnen kann und dass man Konflikte politisch und nicht militärisch lösen kann.
Diese Einschätzung hat sich durch die fortdauernde Entwicklung dieses Krieges als „frommer Wunsch“ herausgestellt. Putin denkt nicht einmal an konstruktive Friedensverhandlungen. Und das wohl größte Problem ist, dass man Putin und der russischen Führung nicht vertrauen kann. Die Geschichte Russlands der letzten tausend Jahre ist geprägt von ungerechten Kriegen und Gewalt, von Wladimir I. bis Wladimir Putin.
Die Ukraine führt einen Verteidigungskrieg gegen Russland und wird von zahlreichen westlichen Staaten und der NATO mit Waffenlieferungen unterstützt. Unter Verteidigung wird ganz allgemein stets die Abwehr einer wie immer gearteten Beeinträchtigung eines, als verteidigungswert aufgefassten Gutes verstanden. Im Falle der Ukraine geht es um deren Existenz. Wenn Putin mit seiner „Spezialoperation“ die Ukraine nicht erobern kann, hat Russland einen Krieg verloren. Wenn die Ukraine die russische Invasion nicht zurückschlagen, sich nicht effektiv verteidigen kann, hört sie auf zu existieren. In diesem Verteidigungskrieg handelt es sich im wahrsten Sinn des Wortes um die Verteidigung der Existenz der Ukraine. Der Westen gibt Waffen, die Ukraine Blut und Leben. Verteidigung ist hier ein moralischer Akt, gebunden an ein allgemein gültiges Sittengesetz. Die Verteidigung der Ukraine ist die Verteidigung einer Grundwerteordnung, die es zu retten gilt. So beruht jede legitime Verteidigung allein auf der Verteidigung des Rechts – des internationalen Rechts. Die Eroberung und Besetzung des Territoriums der Ukraine schlösse den Verlust aller, oder doch der meisten Güter und Werte, auf denen das Dasein dieses Staates und das seiner Einwohner beruht, ein.
Putin hat jüngst erklärt, sollte der Ukraine die Zustimmung erteilt werden auch weit reichende Waffen (Raketen) gegen Russland einzusetzen, so befände sich Russland im Krieg mit der NATO. Wieder eine unverhohlene Drohung Putins an den Westen. Diese Aussage ist nach internationalem Recht natürlich ein Unsinn, aber sie wirkt bei den Unterstützern der Ukraine. In der NATO und der westlichen Welt, der großen Freiheitsschutzallianz, besteht der Konsens über den Katalog der unverzichtbar verteidigungspflichtigen Güter der freien Welt plötzlich auf wackeligen Füßen. Es wird unverhohlen die Frage gestellt, ob wir noch die Freiheit haben, die Freiheit zu verteidigen!?
Ein Friede, Friedensverhandlungen werden nur möglich sein, wenn Putin erkennt, dass er den von ihm begonnenen Krieg nicht gewinnen kann, oder nur mit unverhältnismäßigen Opfern gewinnen kann. Letztlich meint die moderne Friedensforschung, dass ein formaler Friedensschluss zwischen Kriegsparteien auch für einen dauerhaften Frieden nicht ausreicht. Zwischen den Kriegsparteien müssen Feindbilder abgebaut und Vertrauen aufgebaut werden. Das aber kann Jahrzehnte dauern. Eines allerdings lehrt uns die Geschichte: Jeder Krieg endet irgendwann, irgendwie.
Comentários