Dolmetscher leisten vor allem bei Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität einen wesentlichen Beitrag.
Ein Schlüssel zum Erfolg bei Ermittlungen gegen ausländische Tätergruppen ist professionelle Übersetzung. „Dolmetscher sind für die Polizei ein wichtiges Instrument, insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität“, betont der Leiter der LKA-Außenstelle Zentrum-Ost Oberst Martin Roudny. In seiner Dienststelle sieht man die Dolmetscher aber nicht bloß als „Werkzeug“, sondern auch als Menschen, die für ihre wertvolle und oft belastende Arbeit geschätzt werden.
Täglich sind in der Ast Zentrum-Ost bis zu sechs Dolmetscher gleichzeitig im Einsatz, mitunter werden sie auch in den Nachtstunden oder am Wochenende gebraucht. „Die Hauptaufgabe der Dolmetscher ist das Übersetzen von Telefongesprächen. Als Faustregel gilt: Für eine Gesprächsminute braucht man rund zehn Minuten Übersetzungsarbeit“, so Roudny. Eine schnelle Übersetzung ist beim live Mithören eines Telefonats während eines Einsatzes gefragt – etwa, wenn ein Dealer mit einem Konsumenten einen Treffpunkt vereinbart. Eine Aufgabe, welche die Dolmetscher noch lange beschäftigen wird, besteht in der Aufarbeitung der Daten, die im Rahmen der „Operation Achilles“ gesammelt wurden.
Einsatzbereiche. Bei einer lange andauernden Telekommunikationsüberwachung lernt der Dolmetscher den Täter genau kennen. Er bekommt mit, wann der Überwachte lügt, wie er bei Betrügereien vorgeht, welches Verhältnis er zu anderen Personen innerhalb der kriminellen Organisation hat und welche Werte wie Geld oder Status ihm wichtig sind. Dieses Wissen kann den Ermittlern später bei der Einvernahme zugutekommen.
Zu den Einsatzbereichen der Dolmetscher zählen neben dem Transkribieren im Zuge einer TKÜ auch die Übersetzung von schriftlichen Unterlagen, z. B. von bei Hausdurchsuchungen gefundenen Notizen, die Information von Beschuldigten über ihre Rechte und das Übersetzen bei Einvernahmen von Beschuldigten und Zeugen. Dazu kommt die Korrespondenz mit ausländischen (Polizei-)Behörden.
Arbeitsumfeld. In der Ast Zentrum-Ost bemüht man sich, für die Dolmetscher ein möglichst angenehmes Umfeld zu schaffen, wobei das verfügbare Raumangebot und die Anzahl der TKÜ-Plätze limitierend wirken. „Weil es so wenige Auswertungsplätze gibt, müssen die Dolmetscher nach Stundenplan arbeiten“, nennt Chefinspektor Herbert Windwarder vom Ermittlungsbereich 09 Suchtmittel der Ast Zentrum-Ost eines der Probleme. Auf der „Wunschliste“ stehen ausreichend Platz, schalldichte Türen für ungestörte Arbeit, eine Küchenzeile und eine Kaffeemaschine für die Verpflegung in den Pausen sowie Kästchen, in denen die Dolmetscher ihre Sachen verstauen können.
Voraussetzungen. Wird ein Dolmetscher gebraucht, fordert ihn die Ast Zentrum-Ost in der Landespolizeidirektion an. Diese greift auf Personen, die im Dolmetschregister des Bundesministeriums für Inneres eingetragen sind, zurück. Für eine Aufnahme ins Dolmetschregister hat man bestimmte Bedingungen zu erfüllen. Von Vorteil sind muttersprachliche Kenntnisse der jeweiligen Sprache, alternativ muss der Bewerber eine Ausbildung zum Dolmetscher vorweisen und einen Sprachen-Kompetenztest bestehen. Eine Ausnahme von der Testpflicht besteht für ausgebildete Gerichtsdolmetscher und Absolventen eines Masterstudiums in Translationswissenschaften. Für alle Bewerber ist eine Sicherheitsüberprüfung vorgeschrieben.
Die Ermittler bevorzugen jene Dolmetscher, die sie bereits kennen und mit denen sie gute Erfahrungen gemacht haben. Als wichtigste Kriterien führt Bezirksinspektor Dominique Klobasa, Suchtgiftermittler in der Außenstelle Zentrum-Ost, Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit und eine gute Sprachbeherrschung an. Ebenfalls von Vorteil sei zeitliche Flexibilität: „Wir nehmen eher diejenigen, die auch um drei Uhr in der Früh kommen können.“
Weitere Anforderungen an Polizeidolmetscher sind laut Roudny systematisches, vernetztes Denken, hohe Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit und ein gutes Erinnerungsvermögen. Diese Eigenschaften tragen dazu bei, dass sich Delikte bereits bekannten Tätern zuordnen lassen. Ein Dolmetscher kann z. B. die Stimme eines Täters Jahre später wiedererkennen oder bei Übersetzungen für mehrere Dienststellen bemerken, dass es sich bei vermeintlich unterschiedlichen Verdächtigen um dieselbe Person handelt.
Sprachkenntnisse. Für welche Sprachen Dolmetscher benötigt werden, hat sich im Lauf der Jahre geändert. „Bis 2021 habe ich fast nur Nigerianer bearbeitet, Übersetzungen für Pidgin-Englisch und die in Nigeria gesprochenen Dialekte gebraucht“, erinnert sich Klobasa. Für Pidgin, eine vereinfachte Form des Englischen, gemischt mit afrikanischen Ausdrücken, reicht die Kenntnis des britischen oder amerikanischen Englisch nicht aus. Diese Mischsprache ist laut Roudny mittlerweile ebenso ein „Dauerbrenner“ wie Serbisch. Aktuell werden auch zuverlässige Dolmetscher für Tschetschenisch und Albanisch benötigt.
Die Polizei zieht bevorzugt Personen als Dolmetscher heran, die aus ihrer Muttersprache ins Deutsche übersetzen und umgekehrt. Sie verfügen über eine perfekte Sprachkenntnis und haben ein Gespür für sprachliche Nuancen. Wer schon lange für die Polizei übersetzt, eignet sich dabei auch einen speziellen Wortschatz an – die „Gaunersprache“ der Tätergruppen. „Der Dolmetscher muss nicht nur richtig übersetzen, sondern auch wissen, welche Codes und Fachausdrücke die Täter verwenden, und verdeckte Aussagen erkennen“, so Windwarder.
Jovan M., Wiener mit serbischen Wurzeln, Dolmetscher für Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Rumänisch, Moldawisch und Englisch, übersetzt seit drei Jahren für die Polizei. Als schwierig empfindet er insbesondere die verschiedenen Dialekte und Regiolekte sowie das spezifische Vokabular, das sich je nach Tätergruppe unterscheidet. Es gibt beispielsweise Ausdrücke für bestimmte Geldbeträge oder Mengen an Suchtgift. Bei Einvernahmen macht der geringe Wortschatz mancher Beschuldigter Umschreibungen notwendig. Im Fall von schlechter Tonqualität beim Abhören von Telefongesprächen erfordert es höchste Konzentration, das Gesprochene zu verstehen.
Konkrete Fälle. Manchmal ist es nicht der Dolmetscher, der Probleme mit Codewörtern hat, sondern einer der an einem illegalen Geschäft beteiligten Partner. Jovica P., Dolmetscher für Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Rumänisch, Moldawisch und Wallachisch, mit 34 „Dienstjahren“ als Polizeidolmetscher ein Veteran in seiner Branche, bringt ein Beispiel: Ein Dealer wollte sich mit einem Abnehmer einen Treffpunkt in der Schönbrunner Straße ausmachen, ohne den Namen der Straße zu nennen, und umschrieb diese als Straße, die mit Tieren zu tun hat. Sein Gegenüber verstand die Assoziation mit dem Tiergarten Schönbrunn nicht, wartete im falschen Lokal auf seinen Lieferanten – und die Polizei schnappte beide.
Einen Erfolg konnten die Ermittler auch in einem Fall verbuchen, für den Senada B. als Dolmetscherin herangezogen wurde. Sie übersetzt Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Englisch, Spanisch und hat wie ihre beiden bereits genannten Kollegen das Studium der Translationswissenschaften absolviert. Bei der Einvernahme eines verdächtigen Nordafrikaners, der im Zuge der – vergeblichen – Durchsuchung seiner Wohnung nach Suchtgift festgenommen worden war, übersetzte sie die Frage des Polizisten, ob ihr Gegenüber etwas mit Drogen zu tun habe. Der Mann gab zu, 1,5 kg Heroin in seiner Wohnung gebunkert zu haben, in dem Glauben, die Polizei habe das Suchtgift bereits gefunden, und zeigte den Ermittler bei einem anschließenden Lokalaugenschein das Versteck.
Um eine Indoor-Cannabisplantage ging es bei einer Telefonüberwachung mit Jovan M. als Dolmetscher. Die Ermittler hatten herausgefunden, in welchem Mehrparteienhaus der Verdächtige, ein Serbe, wohnte, kannten aber die Wohnung nicht. Diesmal war es nicht der Täter selbst, welcher der Polizei unbeabsichtigt die nötigen Informationen lieferte, sondern dessen Freundin. Sie bestellte über sein Handy Essen, das in seine Wohnung geliefert werden sollte. „Wir haben knapp 80 kg Marihuana gefunden. Der Täter hat alles zugegeben“, so Klobasa.
Psychische Belastungen. Die Erfolge der Ermittler, auf die auch die beteiligten Dolmetscher – zu Recht – stolz sind, und die zum Teil kuriosen Begebenheiten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Arbeit der Dolmetscher sehr belastend sein kann. Verdächtige beschimpfen Dolmetscher, weil sie diese für „Verbündete“ der Polizei halten. Weibliche Dolmetscher werden beleidigt, und manche Moslems weigern sich, mit einer Frau zu kommunizieren. Die Konsequenz für den Einvernommenen: Wenn er nicht mit der Dolmetscherin redet, gilt das als Verweigerung der Aussage.
Auch Drohungen gegen Dolmetscher kommen vor. „Es ist eine ungute Situation, wenn ein Täter bei der Einvernahme sagt: ‚Ich weiß, wer du bist und wo du wohnst.‘ Einer meiner Kollegen geht in kein Jugo-Lokal mehr, weil er Angst hat, dort Leute zu treffen, mit denen er als Dolmetscher zu tun gehabt hat“, schildert Jovica P. Das Problem, wegen serbischer Wurzeln von Kroaten oder von Moslems aus dem ehemaligen Jugoslawien abgelehnt zu werden, gebe es zum Glück nicht mehr. Zu Beginn seiner Tätigkeit als Polizeidolmetscher sei er jedoch als serbischer „Feind“ bezeichnet worden.
Eine Herausforderung für die Dolmetscher stellen insbesondere Ermittlungen zu Gewalttaten dar. Für Senada B. sind es vor allem Fälle aus dem Ermittlungsbereich Sitte, die sie noch länger beschäftigen. „Ich tausche mich mit Freundinnen und Kollegen aus, ohne etwas über den Fall zu erzählen“, beschreibt sie ihre Methode der Bewältigung. Das gelingt nicht allen, manchen Polizeidolmetschern wird die Belastung zu viel und sie wechseln den Job. Institutionalisierte Instrumente wie den Peer Support für Exekutivbedienstete gibt es für Dolmetscher zwar keine, unterstützen kann man sie aber trotzdem. Allein schon damit, dass man ihren Beitrag zum Ermittlungserfolg wertschätzt und sie, wie Roudny sagt, „fast schon als Teil des Teams“ ansieht.
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