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  • Gerhard Brenner

Lebensberichte aus Wien


Nach Max Winter ist ein Platz in Wien benannt im „Stuwer-Viertel“ des zweiten Bezirks. Es hätte genauso eine Gasse in Favoriten sein können oder eine Straße in Simmering. Ein Plätzchen im ersten Bezirk hätte nicht zu ihm gepasst, und schon gar kein Gässlein in Döbling oder Währing. Zeit seines Lebens war der Journalist Max Winter (1870-1937) in den finsteren Plätzen, Gassen und Kammern unterwegs. Er schrieb über andere nicht, ehe er nicht so gelebt hatte wie sie – meist mit ihnen gemeinsam.

Max Winter, 1870 in Budapest geboren, kam im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern nach Wien. Seine Mutter war Modistin, sein Vater Angestellter der Staatsbahn. Max besuchte das Gymnasium und vollendete eine Kaufmannslehre.

Er wurde schließlich Journalist und schrieb bei der Arbeiter-Zeitung, war 1914 bis 1918 Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung am Abend, gründete 1923 die Frauenzeitschrift Die Unzufriedene und war bis 1930 deren Chefredakteur.

1911 bis 1918 saß Max Winter im Reichsrat der Monarchie. 1919 bis 1923 war er einer der drei Vizebürgermeister von Wien und bis 1930 Mitglied im Bundesrat. Im Februar 1934 flüchtete er in die USA. Dort hielt er sich mit Vorträgen über das Dollfuß-Regime über Wasser – und als Märchenerzähler bzw. -vorleser in Kindergärten. Am 11. Juli 1937 starb Max Winter verarmt in Hollywood. Drei Monate später wurde er in Wien am Matzleinsdorfer Friedhof begraben – im Beisein Tausender Wienerinnen und Wiener.

Bekannt geworden ist Max Winter für seine Sozialberichte aus den dunkelsten Ecken von Wien, er schrieb 1.500 solcher Reportagen. Er durchstreifte mit einem Kanalstrotter vier Stunden lang den Kanal unter dem 15. Bezirk – um ein paar Gulden und Kreuzer zu suchen. Er verbrachte einen Nachtdienst mit einem Kriminalbeamten in einem Wiener Kommissariat. Und er hielt sich eine Stunde lang in einer Wärmestube auf. Winter gilt als Vater der „Sozialreportage“. In „Expeditionen ins dunkelste Wien“ sind 17 davon abgedruckt. Es sind lebhafte, zeitlose Geschichten.


Hannes Haas (Hrsg.): Max Winter – Expeditionen ins dunkelste Wien, Picus Verlag, Wien, 2020 (5. Auflage), www.picus.at





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