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  • Rosemarie Pexa

Haft plus Lehre

Mit Arbeit, Suchtentwöhnung und gelockertem Vollzug werden die Insassen der Justizanstalt Wien-Simmering auf das Leben in Freiheit vorbereitet.



Die Zeit, die die Strafgefangenen in der Justizanstalt Wien-Simmering verbringen müssen, soll sinnvoll genutzt werden. Am besten dazu, ihnen jene Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu vermitteln, die ihnen möglicherweise die Haft erspart hätten. „Den meisten Insassen fehlt eine Tagesstruktur, sie verfügen über zu wenige Bewältigungsstrategien. Hätten sie diese, wären sie vielleicht nicht straffällig geworden“, so Oberstleutnant Klaudia Osztovics, BA, MA, die stellvertretende Leiterin der Justizanstalt. Struktur und eine Perspektive für das „Leben danach“ bietet vor allem regelmäßige Arbeit.


Ausbildung. „Simmering ist in ers­ter Linie eine Ausbildungsanstalt. Die Insassen können zwischen acht verschiedenen Lehrberufen wählen, das zeichnet uns aus“, erklärt Osztovics. Die Facharbeiter-Intensivausbildung, die in Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice und dem Berufsförderungsinstitut Wien durchgeführt wird, dauert 18 Monate, danach findet eine Lehrabschlussprüfung statt. Zur Auswahl stehen die handwerklichen Berufe Maler, Maurer, Tischler, Metalltechniker und „Kompetenz mit System“, eine modulare Einstiegsausbildung in die Metallbearbeitung. Dazu kommen die lebensmittelverarbeitenden Berufe Bäcker, Koch und Restaurantfachmann.

„Voraussetzung ist eine Mindeststrafdauer von 18 Monaten. Der Insasse muss dem österreichischen Arbeitsmarkt nach Abschluss der Lehre zur Verfügung stehen, das heißt, er braucht als nicht-österreichischer Staatsbürger eine Aufenthaltsberechtigung“, erläutert der Leiter des Wirtschaftsbereichs Major Ing. Christian Humann. Wer diese Kriterien erfüllt, kann sich je nach Interesse für eine der Ausbildungen bewerben. Die Bewilligung hängt von der Verfügbarkeit einer Ausbildungsstelle und der Eignung des Bewerbers ab, über die das Fachteam unter Einbeziehung des Pädagogischen Dienstes berät.

Die Facharbeiter-Intensivausbildung findet in den Lehrbetrieben der Justizanstalt statt. Bei den Ausbildnern handelt es sich meist um Fachkräfte aus dem jeweiligen Lehrberuf, z. B. um Tischler- oder Malermeister, die zur Justizwache gewechselt sind. Seltener haben sich Justizwachebedienstete im zweiten Bildungsweg die erforderlichen handwerklichen Kenntnisse angeeignet und vereinen damit ebenfalls beide Qualifikationen.


Berufschancen. Der Anteil der Strafgefangenen, die über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, nimmt laut Humann zu. Mitunter kommt es vor, dass ein Insasse vor der Haft eine Lehre begonnen hat und diese nun beenden möchte. Wer schon einmal in einer Berufssparte tätig war, kennt manchmal Betriebe, die ihn nach Abschluss der Ausbildung aufnehmen wollen, was den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt erleichtert.

Auch wenn das nicht der Fall ist, stehen die Chancen gut, da Facharbeiter gesucht werden. Die Absolventen der Facharbeiter-Intensivausbildung erhalten ein neutrales Zeugnis, aus dem nicht hervorgeht, dass sie ihre Ausbildung in einer Justizanstalt absolviert haben. „Manche ehemaligen Insassen schreiben uns einen Brief, wenn sie in einem Betrieb Fuß gefasst haben, z. B.: 'Ich war im Lehrbetrieb Tischlerei und bin jetzt Partieführer bei einer Baufirma. Viele Grüße an den Betriebsbeamten!'“, nennt Humann ein Beispiel.


Werkstätten. Für Strafgefangene, die keine Lehre machen wollen oder die Kriterien dafür nicht erfüllen, bietet die Justizanstalt Simmering verschiedene Arbeitsmöglichkeiten an. Dazu zählen Tätigkeiten in den Werkstätten, die der Eigenversorgung der Justizanstalt dienen, wie Anstaltsküche, Wäscherei und Entsorgungsbetrieb. In der Kreativwerkstatt stellen die Insassen kunstgewerbliche Gegenstände her, die z. B. bei den von der Justizanstalt veranstalteten Oster- und Weihnachtsmärkten verkauft werden.

Die Justizanstalt Simmering arbeitet auch mit Unternehmen der freien Wirtschaft zusammen. Im sogenannten Unternehmerbetrieb werden niederschwellige Tätigkeiten wie Verpackungsarbeiten, Sortiertätigkeiten, Folierungen oder Zusammenfügen von Einzelkomponenten für private Auftraggeber verrichtet.

Für die Arbeit, zu der alle arbeitsfähigen Strafgefangenen verpflichtet sind, erhalten sie eine Arbeitsvergütung. Deren Höhe richtet sich nach der Art der geleisteten Arbeit, beginnend bei leichten Hilfsarbeiten bis zur Arbeit eines Vorarbeiters. „75 Prozent der Brutto-Vergütung sind der Vollzugskostenbeitrag. Von den übrigen 25 Prozent wird der Dienstnehmeranteil zur Arbeitslosenversicherung abgezogen, der Rest bleibt dem Insassen. Die Hälfte davon wird in Form einer Rücklage gespart, die zur Vorsorge für den Unterhalt nach der Entlassung dient. Die andere Hälfte steht als Hausgeld frei zur Verfügung, um das man sich Bedarfsgüter wie Kaffee, Tabakwaren oder Körperpflegeprodukte kaufen kann“, erklärt Humann.


Arbeit „draußen“. Freigänger haben die Möglichkeit einer beruflichen Tätigkeit außer Haus. Das kann z. B. die Arbeit für eine Firma sein, bei der ein Strafgefangener schon vor der Haft angestellt war und die ihn weiter beschäftigen möchte. Sowohl Unternehmen als auch Einrichtungen der öffentlichen Hand und Vereine kommen als Arbeitgeber in Frage. Sie bezahlen den Lohn direkt an die Justizanstalt, der Insasse erhält eine Arbeitsvergütung.

Auch Personen im elektronisch überwachten Hausarrest arbeiten außerhalb der Justizanstalt. „Wir sind für den elektronisch überwachten Hausarrest von Männern und Frauen im Raum Wien zuständig, erledigen den Antrag für die Fußfessel, das Anlegen des Funksender-Bandes und das Aufstellen der Basisstation zur Übermittlung der Funksignale. Wenn die Fußfessel locker ist, gibt es Bandalarm, dann rufen wir am Telefon der Basisstation an, fahren hin oder ersuchen die Polizei um Assistenzleistung“, beschreibt Abteilungsinspektor Helmut Murlasits, interimistischer Justizwachekommandant und Hauptsachbearbeiter der Ausbildungsstelle.

Derzeit überwacht die Justizanstalt Simmering zirka 60 Personen mit Fußfessel. In absehbarer Zeit ist eine Übernahme zumindest der Anlegungen der Fußfessel und ausschließlich im Oberlandesgerichtssprengel Wien durch die Überwachungszentrale geplant. Die Verwaltungstätigkeit bleibt davon allerdings unberührt.

Der elektronisch überwachte Hausarrest ist die letzte, der Freigang die vorletzte Stufe der Lockerungen, die auf das Leben in Freiheit vorbereiten sollen. „Freigänger haben gewisse Privilegien. Sie können nicht nur in einem Unternehmen der Privatwirtschaft arbeiten, sondern auch 'draußen' einkaufen und sind in einem eigenen Gebäudeteil untergebracht“, erklärt Humann.

In der Abteilung für Freigänger ist aktuell noch Platz, da die Eignung für diese Form der Vollzugslockerung genau geprüft wird und nicht bei allen Insassen gegeben ist.


Suchtkranke. Murlasits weist darauf hin, dass der Anteil der „schwierigen“ Strafgefangenen steigt: „Das Klientel ändert sich. Seit zwei, drei Jahren haben wir immer mehr Insassen mit psychischen Auffälligkeiten, daher kommt es vermehrt zu Konflikten.“ Unter den Suchtkranken finden sich besonders viele psychisch auffällige Personen.

Kommissärin Mag. Stephanie Rapp, Leiterin des Psychologischen Dienstes der Justizanstalt Simmering, verfügt über viel Erfahrung im Umgang mit Drogenkonsumenten. Sie arbeitete früher beim Grünen Kreis, einem Verein für Rehabilitation und Integration suchtkranker Menschen in der stationären Suchttherapie. Von 2013 bis 2015 betreute sie in der Justizanstalt Wien-Favoriten entwöhnungsbedürftige Insassen, bevor sie zur Justizanstalt Simmering wechselte. Seit 2021 findet hier eine Entwöhnungsbehandlung statt – mit Erfolg, wie Osztovics betont: „Bis jetzt sind die Erfahrungen gut. Die Insassen qualifizieren sich für gelockerten Vollzug und Freigang, wir haben noch keine Rückfälle gehabt.“


Psychische Belastung. Um psychischen Erkrankungen vorzubeugen, kümmert sich Rapp um Neuzugänge ohne Vollzugserfahrungen, die oft unter einem „Inhaftierungsschock“ leiden. „Ich gebe ihnen Informationen, wie es weitergeht, und versuche, die Insassen zu begleiten“, so die Psychologin. Sorgen um die Familie, insbesondere bei Krankheiten oder Todesfällen, und die Angst, dass sich die Partnerin trennen möchte – was im Zuge von Haftstrafen öfter vorkommt – belasten die Strafgefangenen. Erschwerend wirken sich die Maßnahmen gegen die Pandemie aus, so müssen an Corona erkrankte Insassen isoliert werden. Zeitweise konnten keine Besuche stattfinden, was man durch Videobesuche zu kompensieren versuchte.

Eine besonders schwierige Situation ergibt sich für Strafgefangene ohne ausreichende Deutschkenntnisse. „Wir können Personen, die nicht oder nur wenig deutsch sprechen, keine Psychotherapie anbieten, das macht auch eine Deliktbearbeitung unmöglich. Wir haben weder fremdsprachige Therapeuten noch Übersetzer, einen Videodolmetsch bekommen wir nur für Krisen- und Abklärungsgespräche“, bedauert Rapp. Rund die Hälfte der Insassen hat keine österreichische Staatsbürgerschaft, der Großteil von ihnen stammt aus den Balkenländern, aus Tschetschenien und Afghanistan. Bei der Haftraumbelegung wird versucht, ethnische Konflikte zu vermeiden.

Konflikte können aus unterschiedlichen Gründen entstehen. „Der eine will fernsehen, der andere schlafen“, nennt Rapp ein typisches Problem. Bevor es zu einer Eskalation kommt, verlegt man einen der Insassen in einen anderen Haftraum. Wenn möglich, wird auch der Wunsch, mit wem jemand den Haftraum teilen möchte, berücksichtigt. Die Gefahr von Übergriffen durch Mithäftlinge ist besonders bei Tätern, die Minderjährige sexuell missbraucht haben, hoch. Ihnen empfiehlt Rapp daher, nicht über ihr Delikt zu sprechen.

Die Beschäftigung mit bestimmten Delikten wie Kindesmissbrauch kann auch für Mitarbeiter der Justizanstalt eine Belastung darstellen. Rapp setzt dabei auf Abgrenzung und Supervision. „Viele Täter waren als Kind selbst von Übergriffen betroffen. Wenn man die gesamte Geschichte eines Menschen kennt, gelingt es leichter, manches nachzuvollziehen. Man muss einen Weg finden, dass er in Zukunft anders handelt. Achte den Täter, aber ächte die Tat“, so die Psychologin.








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