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Rosemarie Pexa

Einspruch!

In ihrem neuen Buch gibt die Journalistin Ingrid Brodnig Tipps, wie man Fake News kontern kann.



Mit Gerichtsverfahren hat das neue Buch von Mag. (FH) Ingrid Brodnig nichts zu tun, auch wenn der Titel „Einspruch!“ lautet. Der Untertitel verrät schon mehr: „Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online“. Wie das gelingen kann, beschreibt die Autorin auf unterhaltsame Weise. Sie erklärt beispielsweise, warum „Jiu-Jitsu-Tricks“ gegen Menschen, die Falschmeldungen verbreiten, erlaubt sind, aber niemand als „Covidiot“ bezeichnet werden sollte.


Verschwörungsmythen. Wer jetzt annimmt, dass Corona der Anlass für die Veröffentlichung des Buchs war, liegt richtig. Zahlreiche Beispiele beziehen sich auf Verschwörungsmythen (den Ausdruck „Verschwörungstheorien“ vermeidet Brodnig, da es sich nicht um überprüfbare Theorien handelt) über Corona, von einem angeblichen Zusammenhang mit 5-G-Strahlung über die Rolle von Bill Gates bis zu QAnon. Aber auch Klimaerwärmungs-Leugner und Migrationskritiker bekommen ihr Fett ab.

Die Buchpräsentation fand coronabedingt online statt. Brodnig erläuterte, wie man mit Hilfe von Erkenntnissen, die vor allem aus den Bereichen der Kommunikationswissenschaften und der Psychologie stammen, irrationale Argumente widerlegen kann. Dabei gehe es nicht darum, recht zu behalten, sondern vielmehr um den Schutz anderer Menschen – etliche Verschwörungserzählungen würden antisemitische Inhalte haben – und des Verschwörungsgläubigen selbst.

Dazu brachte Brodnig ein drastisches Beispiel: Der Vater einer Bekannten, ein pensionierter Akademiker, schickte seinen Kindern während der Pandemie Links zu „seltsamen Artikeln“. Nach dem ersten Lockdown begann er, Chlordioxid einzunehmen. Dieses Bleichmittel wird im Internet als Mittel gegen Aids, Krebs, Malaria – und jetzt auch gegen Corona – beworben. Tatsächlich kann es zu Erbrechen, Durchfall, Nierenversagen und schweren Darmschädigungen führen.


Ängste und Werte. Warum sogar gebildete Menschen manchmal anfangen, sonderbare Dinge zu glauben, erklärte Brodnig bei der Präsentation folgendermaßen: „In Zeiten der Verunsicherung hat man das Gefühl, dass einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Verschwörungserzählungen klingen unbehaglich, aber sie geben den Menschen Halt, das Gefühl, dass sie etwas verstanden haben, dass sie Durchblick und Kontrolle haben.“ Falschinformationen sprechen nicht den Verstand, sondern das Gefühl an, dabei spielen Ängste und Werte eine Rolle. Also kann ein gesundheitsbewusster Mensch, der sich vor Corona fürchtet, Verkäufern von „Wundermitteln“ auf den Leim gehen.

Hier setzt die wertebasierte Kommunikation an, von der Psychologin Kelly Fielding und dem Ökonomen Matthew Hornsey auch als „Jiu-Jitsu-Kommunikationsstil“ bezeichnet. Wie bei der asiatischen Kampfkunst greift man die Argumente seines Gegenübers nicht frontal an, sondern nutzt dessen Wünsche und Wertvorstellungen. Als Beispiel führt Brodnig Erkenntnisse aus einer Studie der University of Queensland an: Marktliberale Konservative in den USA, die an der Klimaerwärmung zweifeln, lehnen Klimaschutzmaßnahmen ab. Betont man jedoch, dass diese auch Wirtschaftschancen bringen, ist die Zustimmung größer. Bei extremen Positionen lassen sich allerdings kaum Werte finden, an denen man anknüpfen kann.

Selbst wenn man mit den eigenen Argumenten nicht durchkommt, sollte man laut Brodnig keinesfalls dem Impuls nachgeben, z. B. dem Gesprächspartner nahestehende Demonstranten als „Covidioten“ zu bezeichnen. „Beleidigungen oder auch Spötteleien haben eine toxische Wirkung. Falls Ihr Ziel ist, Andersdenkende potenziell noch zu erreichen, empfiehlt es sich, dem Gegenüber eine mentale Abwehrhaltung nicht allzu einfach zu machen“, schreibt Brodnig in ihrem Buch. In einem Experiment wurde beobachtet, dass selbst das Einstreuen „harmloser Schimpfworte“ eine spaltende Wirkung hat.


Argumentationstaktik. Will man die Argumente eines anderen widerlegen und versuchen, ihn zu überzeugen, muss er die Möglichkeit haben, sein Gesicht zu wahren. Postet jemand beispielsweise in einer Chatgruppe Fake News, kann man die Person direkt anschreiben, anmerken „das hätte ich auch fast geglaubt“, und den Link zu einer zuverlässigen Quelle anfügen. Aber auch bei dieser Taktik gebe es Grenzen, so Brodnig. Ist derjenige, der Falschmeldungen verbreitet, nicht davon abzubringen, gelte es, „Kollateralschäden zu verhindern“, sprich: andere davor zu bewahren, auch auf diese Fake News hereinzufallen. Dann lässt sich nicht vermeiden, dass man die gesamte Chatgruppe darüber informiert, welche Aussagen falsch sind.

Das setzt natürlich das Erkennen von Falschmeldungen voraus. Brodnig zeigt anhand von Beispielen typische Logikfehler in einer Argumentation auf. Oft handelt es sich bei Falschaussagen um die halbe Wahrheit: Aus einem wahren Sachverhalt werden, wie die Autorin schreibt, „voreilige Schlüsse“ gezogen. So habe der ehemalige US-Präsident Donald Trump „sinngemäß erklärt, Desinfektionsmittel könne das Coronavirus abtöten (wahre Prämisse), und angesichts dessen könnte man prüfen, ob man Menschen Desinfektionsmittel spritzen sollte“.

Als – wissenschaftlich unzulässigen – „anekdotischen Beweis“ bezeichnet Brodnig das Argumentieren mit Einzel-Ereignissen. Es kann manchmal einen sehr kalten Tag geben, obwohl eine globale Klimaerwärmung stattfindet. Deren Existenz lässt sich mit Sta­tis­tiken und Langzeittrends belegen, was allerdings weniger anschaulich ist als ein „Ausreißer“ mit klirrender Kälte. In die Kategorie anekdotischer Beweise fallen auch Studien, die dem Trend der Forschung widersprechen. Betreibt jemand „Rosinenpicken“, dann führt er nur diejenigen wissenschaftlichen Erkenntnisse an, die ihm gut ins Konzept passen.

Bei einer irreführenden Analogie vergleicht man – wie man umgangssprachlich sagt – Äpfel mit Birnen. Als Beispiel nennt Brodnig in ihrem Buch die Gegenüberstellung von Sozialleis­tungen für eine achtköpfige asylsuchende Familie mit denen für eine fünfköpfige österreichische Familie. Ob auch der als weiteres Beispiel angeführte Vergleich von Grippe mit Corona tatsächlich irreführend ist, darüber lässt sich allerdings streiten; zumindest Schutzmaßnahmen wie Abstand halten oder Maskentragen wirken gegen beide Erkrankungen.

Kritiker stellen wissenschaftliche Erkenntnisse mitunter infrage, indem sie „unmögliche Erwartungen“ an die Forschung richten. Wenn Wissenschafter davon ausgehen, dass die Klimaerwärmung zu 95 Prozent menschgemacht ist, fragen Skeptiker: „Warum eigentlich nicht hundert Prozent?“ Eine breite Expertise kann mit der „Zulaber-Taktik“ vorgetäuscht werden. „Diese Personen posten nicht einfach eine einzelne Behauptung, sondern sie reihen vier, fünf, sechs Behauptungen in einem Posting aneinander“, schreibt Brodnig. Bei der Buchpräsentation ging sie auf einen weiteren Grund ein, warum jemand nicht bei einem Sachverhalt bleibt: „Wenn es für eine Person in der Diskussion schwierig wird, springt sie von einem Thema zum nächsten: Bill Gates – Tod durch Maske – Impfung.“ In solchen Fällen sei es ratsam, sein Gegenüber auf ein Thema festzunageln und bei diesem Logikfehler aufzuzeigen.


Falschmeldungen korrigieren. Neben der logikbasierten Korrektur – also dem Hinweis auf nicht schlüssige Argumente – gibt es laut dem von Brodnig zitierten Kognitionswissenschaftler John Cook zwei weitere Möglichkeiten, Desinformation aufzudecken: Bei der faktenbasierten Korrektur stellt man einer nachweisbar falschen Behauptung eine richtige Information gegenüber. Die quellenbasierte Korrektur befasst sich nicht mit dem Inhalt einer Aussage, sondern mit deren Urheber. „Ist die Person aktuell ein Experte – oder ein pensionierter Experte, der nicht auf dem Stand der Zeit ist?“, sollte man sich laut Brodnig fragen. Auch ein Doktortitel allein sagt nichts aus, so kennt sich z. B. ein Zahnarzt nur sehr bedingt mit Infektiologie aus.

Statt sein Gegenüber zu korrigieren, was bei diesem unter Umständen eine Abwehrhaltung auslöst, kann man es auch mit der Redekunst griechischer Philosophen versuchen. Beim „Sokratischen Dialog“ stellt man gezielt Fragen, die dazu führen sollen, dass der andere seine Argumentation selbst genauer unter die Lupe nimmt. Wie das funktioniert, zeigt Brodnig anhand des Themas „Wundermittel“ gegen Corona auf: „Warum glaubst du, dass Chlordioxid nicht schädlich ist? Wie meinst du das? Woher hast du dieses Argument?“

Wie in der Medizin ist auch punkto Fake News Vorbeugen besser als Heilen – auf dieser Erkenntnis baut die Methode der „Inokulation“ auf, die Brodnig in ihrem Buch folgendermaßen beschreibt: „Man zeigt Menschen die unlogische Seite einer falschen Behauptung auf – und ermöglicht ihnen damit, auch in Zukunft solche irrationalen Aussagen zu erkennen. Man impft Menschen sozusagen gegen unsinnige Argumente.“ Diese Taktik eigne sich insbesondere bei Personen, die „anfällig für manche faktenwidrigen Behauptungen“ sind.


Kein Konsens? Brodnig, selbst Journalistin, nimmt auch die Medien in die Pflicht. Dabei geht sie nicht näher auf schlampige Recherchen ein, die zur Verbreitung von Fake News führen, sondern widmet sich dem Problem, „dass journalistische Normen, konkret das Bedürfnis, ‚beide Seiten‘ zu Wort kommen zu lassen, eine negative Rolle spielen“. Etwa, wenn zu einer Diskussion nicht nur anerkannte Wissenschafter eingeladen sind, sondern auch „Personen, die nicht dasselbe Level von Expertise aufweisen“. Bei Laien könnten die „falschen“ Argumente Gehör finden – oder Zweifel am wissenschaftlichen Konsens aufkommen lassen.

Abgesehen davon, dass dieser nicht in allen Fragen existiert, liegt es auch an dem – zum Teil wenig vorbildhaften – Verhalten und der Kommunikation politischer Entscheidungsträger, in welchem Ausmaß der „offiziellen“ wissenschaftlichen Position Glauben geschenkt wird. Kritische Anmerkungen zu diesem Punkt vermisst man als Leser von Brodnigs umfassender Sammlung an Argumentationshilfen und pointiert formulierten Kommentaren. (Nicht nur) politische Akteure sollten sich folgendes Zitat aus „Einspruch!“ besonders zu Herzen nehmen: „Ob Menschen die Korrektur einer Falschmeldung ernst nehmen, scheint auch davon abzuhängen, wer dies sagte. Experimente deuten darauf hin, dass die Vertrauenswürdigkeit einer Person oder Institution sogar mehr zählen kann als ihre tatsächliche Expertise.“








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