- Werner Sabitzer
„Wie ein Vieh herumgeschoben
Vor 100 Jahren wollte ein Mann im Polizeikommissariat Wien-Favoriten seine Ex-Freundin erstechen und verletzte zwei Polizeibedienstete. Bald nach seiner Freilassung aus der Haft erschlug er in Raubabsicht auf einem Bauernhof im Mühlviertel zwei Frauen.

Im April 1922 lernte der Wehrmann Eduard Gieger bei einer Tanzveranstaltung in einem Gasthaus im Prater die 29-jährige Hausgehilfin Josefine Maierhofer kennen. Er verliebte sich in die Frau und die beiden wurden ein Paar. Gleichzeitig hatte Gieger ein Verhältnis mit Therese Helmreich, einer Bekannten Josefines. Als Josefine von diesem Verhältnis erfuhr, beendete sie die Beziehung. Gieger ließ nicht locker und drängte Josefine immer wieder, zu ihm zurückzukehren.
Im August 1923 gab Josefine seinem Drängen nach und ließ sich wieder mit dem Ex-Freund ein. Zwei Wochen später beendete sie die Beziehung neuerlich, nachdem sie erfahren hatte, dass Therese Helmreich von Gieger schwanger geworden war.
Eduard Gieger, geboren am 14. Jänner 1898 in Steyr, wuchs in Schönau in Oberösterreich auf, wo seine Mutter als „Wahrsagerin“ tätig war. Er trat als Wehrmann in das Bundesheer ein und war in der Rennwegkaserne in Wien untergebracht.
Mordanschlag auf die Ex-Geliebte. Eduard Gieger bedrohte Josefine mit dem Umbringen, sollte sie ihn verlassen. Er lauerte ihr auf und stellte ihr nach. Als er sie am 26. Dezember 1923, dem Stephanitag, zufällig wieder im Prater-Gasthaus traf, drohte er ihr, sie „abzustechen“. Josefine wandte sich an die Polizei und Gieger wurde festgenommen, aber bald wieder freigelassen. Die Frau lebte in ständiger Angst und fürchtete sich, ihre Wohnung zu verlassen. Um Gieger abzuschütteln, wechselte sie ihren Arbeitgeber und wurde Dienstmädchen bei einem Pferdefleischhauer in der Favoritenstraße 63.
Am Nachmittag des 3. Jänner 1923 tauchte Gieger in Heeresuniform im Haus des Fleischhauers auf, um seine Ex-Freundin neuerlich zu überreden, zu ihm zurückzukehren. Gieger hatte die neue Adresse Josefines im Meldeamt erfahren. Er läutete an der Haustür. Josefine öffnete und schlug die Tür sofort wieder zu, als sie ihren Ex-Geliebten erblickte. Er wollte nun gewaltsam in das Haus eindringen. Der Hausmeister holte den Sicherheitswachebeamten Matthias Kodric, der Gieger verwarnte und ihm mit der Festnahme drohte, sollte er das Anwesen nicht sofort verlassen. Daraufhin entfernte sich Gieger. Er dürfte schon davor beschlossen haben, Josefine zu ermorden und sich dann selbst zu töten. Er hatte seine Habseligkeiten verkauft, seine Absicht in ein Tagebuch eingetragen und Abschiedsbriefe geschrieben. Außerdem hatte er einer Prostituierten sein Vorhaben mitgeteilt und sie gebeten, ihm einen Revolver zu verschaffen. Sie lehnte ab.
Als Gieger gegen 17 Uhr neuerlich zum Haus des Fleischhauers kam, diesmal in Zivilkleidung, fürchtete Josefine Maierhofer wieder um ihr Leben. Der Polizist Kodric, der sich in der Nähe aufhielt, sah Gieger, nahm ihn fest und brachte ihn in das Wachzimmer Columbusgasse, wo beim Festgenommenen ein Bajonett sichergestellt wurde. Kodric eskortierte Gieger in das Polizeikommissariat Favoriten, wo sich bereits Josefine Maierhofer befand, um ihre Aussage zu machen.
Eduard Wohanka, der Schriftführer des Kommissariats, vernahm den Festgenommenen und protokollierte dessen Aussagen. Als Kodric den Raum betrat, um Gieger in den Arrest zu geben, zog der Wehrmann ein Taschenmesser, das er im Mantel verborgen hatte, und stach rasend auf Josefine Maierhofer ein. Wohanka und Kodritsch stürzten sich auf den Täter und Gieger versetzte beiden Männern mehrere Messerstiche. Der Gewalttäter wurde schließlich von zwei Kriminalbeamten und einem Konzeptspraktikanten überwältigt. Wohanka und Kodric wurden in das Krankenhaus Wieden gebracht, konnten aber nach der Wundversorgung noch am Abend wieder entlassen werden. Die Frau erlitt leichte Schnittwunden.
Geringe Haftstrafe. Eduard Gieger wurde am 12. März 1923 vom Landesgericht Wien wegen Mordversuchs und Erpressung zu vier Jahren schweren Kerkers verurteilt und aus dem Heer ausgeschlossen. Nach zwei Jahren und acht Monaten Haft in der Strafanstalt Garsten wurde Gieger am 7. Jänner 1924 bedingt entlassen. Er kehrte zunächst nach Oberösterreich zurück und fuhr später nach Wien, von wo er allerdings wegen seiner Verurteilung bald in seine Heimatgemeinde „abgeschafft“ wurde.
Doppelmord auf dem Bauernhof. Am 5. Februar 1925 begann Eduard Gieger als Knecht auf dem Seppengut des Bauern Josef Lehner in Wolfgrub, Gemeinde Schönau im Mühlviertel zu arbeiten. Nur wenige Wochen später, am 10. März 1925, teilte Gieger seinem Dienstgeber mit, dass er in der Fabrik in Josefstal arbeiten wolle und dorthin fahren werde. Der Bauer hatte nichts dagegen. Gieger verließ um halb sieben Uhr früh den Bauernhof, kehrte aber am späten Nachmittag zum Anwesen Lehners zurück, weil er in der Fabrik keine Arbeit gefunden hatte. Er erfuhr, dass Josef Lehner an diesem Tag zwei Ochsen verkauft hatte. Am Abend besuchte Lehner seinen Hofnachbarn. Gieger nutzte die Abwesenheit des Bauern für ein brutales Vorhaben. Er plante, die Bäuerin Aloisa Lehner, ihre 79-jährige zu Besuch weilende Mutter und eine geistig etwas beeinträchtigte Magd niederzuschlagen, das Geld aus dem Ochsenverkauf zu rauben und zu flüchten.
Als die Bäuerin in den Schweinestall ging, schlich Gieger ihr nach und schlug ihr mit dem Jochnagel mehrmals auf den Kopf. Während er Stricke holte, kam die Bäuerin wieder zu sich und schrie um Hilfe. Gieger packte die Frau, schlug sie zu Boden und stach mit einem Stilett mehrmals in den Hals der Bäuerin, die sich heftig wehrte. Als die Magd zu Hilfe kommen wollte, schlug ihr Gieger mit einer Hacke auf den Kopf. Die Magd rannte verletzt davon und versteckte sich in der Küche. Die schwer verletzte Bäuerin flüchtete in das Wohnhaus, der Räuber lief ihr nach und versetzte ihr mit der Axt einen heftigen Schlag auf den Kopf. Das Opfer brach bewusstlos zusammen und starb am nächsten Tag in der Früh.
Als Gieger die Mutter der Bäuerin, die 79-jährige Theresia Schweiger, auf der Ofenbank sitzen sah, schlug er mit der Hacke auch ihr auf den Kopf. Die alte Frau stürzte zu Boden und stieß dabei den eisernen Ofen um. Sie starb am 14. März 1925 an ihren schweren Verletzungen. Die Magd überlebte. Zwei Kinder der Bäuerin wurden Zeugen der Bluttaten; sie hatten sich versteckt.
Gieger suchte im Bauernhaus das Geld aus dem Ochsenverkauf, fand es aber nicht. Als er bemerkte, dass der Bauer heimkam, flüchtete er in den Wald. Josef Lehner sah Gieger noch, wie er davon lief. Der Raubmörder schlief in einem Heustadel und wurde zwei Tage nach der Bluttat, am 12. März 1925 abends, von Passanten auf einer Straße überwältigt und den Gendarmen übergeben.
Weitere Bluttat geplant. Eduard Gieger wurde im April 1925 im Landesgericht Linz wegen zweifachen Raubmordes und versuchten Mordes angeklagt. Laut Gutachten war er geistig voll zurechnungsfähig. Der Angeklagte sagte bei der Gerichtsverhandlung, dass er beim Überfall jeden umgebracht hätte, der ihn bei der Tat gestört hätte. Nach dem Doppelmord habe er eine weitere Bluttat geplant: Er habe sich bei einem Bauern in St. Valentin rächen wollen, der ihn vor Jahren um den Lohn geprellt habe. Hätte er das Geld aus dem Ochsenverkauf gefunden, wäre er nach Wien gefahren, hätte eine Prostituierte „gekauft“ und mit ihr Champagner getrunken, bis das Geld vertrunken gewesen wäre. Dann hätte er seinem Leben mit viel Morphium ein Ende gesetzt. An seinem Lebenswandel sei vor allem seine Mutter schuld, die ihn „leichtsinnig erzogen“ hätte, behauptete Gieger vor Gericht. Er sei „wie ein Vieh herumgeschoben“ worden. „Das Beste für mich wäre der Strick“, betonte der Angeklagte.
Eduard Gieger wurde von den Geschworenen wegen zweifachen Mordes und Mordversuchs einstimmig schuldig gesprochen und vom Gericht zu einer lebenslangen, schweren Kerkerstrafe verurteilt, verschärft durch Fasten und Dunkelhaft an jedem Jahrestag der Bluttat. Der Verurteilte verzichtete auf eine Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde und nahm das Urteil an.
Quellen/Literatur:
Steinmaßl, Franz: Der Doppelraubmord von Wolfgrub (Schönau 1925). In: Arsen im Mohnknödel. Kriminalität im Mühlviertel von der Jahrhundertwende bis 1938. Edition Geschichte der Heimat, Grünbach 1992, S. 85-88
Eine Bluttat im Polizeikommissariat Favoriten. In: Illustrierte Kronen-Zeitung, 5. Jänner 1923, S. 4-5
Blutige Szenen auf dem Polizeikommissariat Favoriten. In: Ostdeutsche Rundschau, 13. März 1923, S. 5
Der Doppelraubmörder von Schönau, Eduard Gieger, vor den Geschworenen. In: Mühlviertler Nachrichten, 10. April 1925, S. 9-10