- Werner Sabitzer
„Verworfenster Mensch“
Der Steirer Matthäus Ulbl brachte mindestens fünf Menschen um. Er wurde 1871 im Landesgericht Graz zu einer lebenslangen schweren Kerkerstrafe verurteilt.

Der Bäckergehilfe, der am 24. November 1869 in der Früh Brot und Gepäck zum Gasthaus Sebernegg in Bachsdorf bei Wildon in der Steiermark brachte, wunderte sich, dass die Haustür des Wirtshauses versperrt war. Als auf sein Klopfen niemand reagierte, holte er Hilfe. Nachbarn brachen die Haustür auf und machten eine entsetzliche Entdeckung. In einem Zimmer lagen die grässlich zugerichteten und blutüberströmten Leichen des 30-jährigen Gastwirts Leopold Sebernegg und seiner jungen Frau Barbara. Im Keller lag die 15-jährige Ziehtochter Aloisia Adrian. Ihr Schädel war gespalten und der Hals aufgeschlitzt.
Die Gendarmen sicherten Spuren und befragten Nachbarn und einige Männer, die sich am Vortag im Gasthaus Sebernegg aufgehalten hatten. Es ergab sich folgendes Bild:
Zwei Männer betraten am 23. November 1869 am Nachmittag das Dorfwirtshaus und tranken am Abend mit den Wirtsleuten. Die Männer baten Sebernegg, im Gasthaus übernachten zu dürfen. Die Wirtin richtete daraufhin für die beiden Gäste ein Nachtlager im Gastraum ein. In der Nacht standen die beiden Männer auf, drangen in den Schlafraum der Wirtsleute ein und brachten das Paar mit Messern auf bestialische Weise um. Die Ziehtochter flüchtete von ihrem Schlafraum in den Keller, wo einer der Räuber ihr mit einer Axt den Schädel spaltete, ihr Messerstiche versetzte und die Luftröhre und eine Halsaorta durchschnitt. Die Mörder durchwühlten das Haus und raubten Geld, eine silberne Taschenuhr und weitere Wertgegenstände. Schnittverletzungen an den Händen und andere Spuren wiesen darauf hin, dass sich Leopold Sebernegg heftig gewehrt haben müsse. Nach den Beschreibungen handelte es sich bei einem der Täter um einen sehr großen Mann.
Nach dem brutalen Dreifachmord herrschte bei den Bewohnern der Region Entsetzen und Angst. Bald verstärkte sich der Verdacht, dass es sich beim größeren der beiden Raubmörder um Matthäus Ulbl handeln könnte, der kurze Zeit davor aus dem Gefängnis entlassen worden war.
Matthäus Ulbl, genannt „Spitz“ oder „Tiroler Franzl“, war 47 Jahre alt, außergewöhnlich groß und bärenstark. Sein Vater war Weinbauer in Trommelberg im Bezirk Marburg (heute Maribor, Slowenien). Schon als Jugendlicher wurde Ulbl wegen Eigentumsdelikten und Betrugs zu Arreststrafen und Stockhieben verurteilt. Mit mehreren Komplizen verübte er in den 1840er-Jahren Einbrüche und kaltblütige Raubüberfälle. 1848 wurde er als Bandenchef wegen Raubmordes, Raubüberfällen, Vergewaltigung und Diebstahl zu einer lebenslangen schweren Kerkerstrafe verurteilt. Im Urteil wurde er als „einer der verworfensten Menschen“ beschrieben. Weil Ulbl sich in der Strafanstalt Gradisca großteils wohl verhalten und einem Justizwachmann das Leben gerettet hatte, wurde er begnadigt und am 2. Oktober 1869 aus der Haft entlassen. Danach trieb er sich in Wirtshäusern in der Steiermark herum. Am 28. Oktober 1869 kam er erstmals in das Gasthaus Sebernegg in Bachsdorf, wo er übernachtete. Möglicherweise plante er schon damals, wiederzukommen und die Wirtsleute zu berauben.
Als Matthias Ulbl erfuhr, dass er wegen des Dreifachmords in Bachsdorf gesucht werde, wanderte er nach Marburg, betrat das Bezirksgericht und regte sich auf, dass er von Menschen in der Gegend beschuldigt werde, der gesuchte Raubmörder zu sein. Er habe aber mit der Bluttat nichts zu tun und möchte eine gerichtliche Untersuchung, damit sich seine Unschuld herausstelle, weil ihn sonst die Bauern in Bachsdorf erschlagen würden. Ulbl wurde im Gerichtsgebäude festgenommen und in das Landesgericht Graz gebracht.
Ein weiterer Mord. Der Untersuchungsrichter kam zu einem anderen Ergebnis, als Ulbl es sich vorgestellt hatte. Demnach sei der Festgenommene nicht nur dringend verdächtigt, den Dreifachmord in Bachsdorf verübt zu haben, sondern auch einen weiteren Mord. Ulbl wurde beschuldigt, mit einem Komplizen in der Nacht auf den 10. November 1869 in Dobreng bei Marburg den Bauern Johann Müller vulgo „Jerusalemer“ mit acht Messerstichen ermordet zu haben. Die beiden Täter waren durch das Kellerfenster in das versperrte Haus eingebrochen und durch das erste Zimmer, in dem die achtjährige Tochter Theresia geschlafen hatte, in das Schlafzimmer Johann Müllers eingedrungen. Beim Meuchelmord an Johann Müller dürfte Rache das Hauptmotiv gewesen sein. Müller war beim Mordprozess im Jahr 1848 Belastungszeuge gegen Ulbl und hatte Geld aus einem Raubüberfall Ulbls aufbewahrt, aber nicht mehr zurückgegeben. Ulbl hatte ihm damals Rache geschworen.
Matthias Ulbl behauptete bei den Verhören, mit den Morden nichts zu tun zu haben und woanders gewesen zu sein. Aber viele Zeugenaussagen, Indizien und Beweise belasteten ihn schwer. In seinem Besitz befanden sich die silberne Taschenuhr und andere Beutestücke aus dem Gasthaus Sebernegg. Am Tag nach dem Raubüberfall gab er viel Geld aus, obwohl er vor der Bluttat fast nichts mehr hatte. Er wurde von mehreren Zeugen während der Tatzeit in der Nähe der beiden Tatorte gesehen. Bei seinem ersten Besuch im Gasthaus Sebernegg konnte ein Gast auf einem Zettel seinen Namen lesen. Außerdem hatte Ulbl Bekannte aufgefordert, ihm ein falsches Alibi zu bezeugen.
Indizienprozess. Der Strafprozess gegen Matthäus Ulbl im Schwurgerichtssaal des k. k. Straflandesgerichts Graz begann am 10. Jänner 1871. Das Straflandesgericht war im Inquisitionsgebäude des Magistrats und teilweise im Rathaus untergebracht. Der Angeklagte behauptete lautstark, er sei unschuldig und verleumdet worden. Sein Mordkomplize konnte nicht ausgeforscht werden.
Matthias Ulbl wurde am 14. Jänner 1871 wegen des Meuchelmordes an Johann Müller, des meuchlerischen Raubmordes an Barbara Sebernegg sowie des Raubmordes an Leopold Sebernegg und Aloisia Aldrian für schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen schwerer Kerkerstrafe verurteilt, verschärft durch Einzelhaft am 9. und 22. jedes Monats.
Nach der Urteilsverkündung beschimpfte Ulbl die Gerichtspersonen unflätig und schrie, dass er unschuldig sei. Dann sprang er vom Stuhl auf, stieß mit seinem Kopf gegen die Wand und stürzte besinnungslos zu Boden. Gendarmen und Sicherheitswachleute legten dem Bewusstlosen Handfesseln an und versuchten ihm zu helfen. Nach einigen Minuten stand Ulbl auf. Er blutete am Kopf und beschimpfte den Gerichtshof weiter. Als er abgeführt wurde, versuchte er, im Stiegenhaus abermals gegen die Wand zu rennen.
Nachdem die höchste Gerichtsinstanz bei der Berufungsverhandlung das Urteil bestätigt hatte, wurde Ulbl zur Strafverbüßung in die Strafanstalt Graz-Karlau gebracht. Kurz darauf versuchte er, aus der Strafanstalt zu flüchten, scheiterte aber. Der zweite Fluchtversuch in der Nacht auf den 17. Dezember 1875 glückte. Seine Gefängnisarbeit bestand aus dem Nähen von Stoffsäcken. Ulbl band Zwirnfäden zu einem dünnen Seil zusammen, brach ein Fenstergitter auf und seilte sich gegen Mitternacht ab. Die Wachmannschaft hörte zwar Geräusche, nahm aber im dichten Nebel die Flucht nicht wahr. Auf die Wiederergreifung des geflüchteten Häftlings wurde eine Belohnung von 50 Dukaten in Gold ausgesetzt.
Ulbl versteckte sich auf dem Dachboden des Postmeisterhauses in Straßgang. Ein Hausbewohner, der den geflüchteten Häftling bemerkte, verständigte die Gendarmerie. Ulbl sprang aus dem Fenster, verletzte sich aber ein Bein. Auf der Flucht wurde der Raubmörder von zwei Malergehilfen verfolgt. Gemeinsam mit einem Wagnermeister und dessen Gehilfen überwältigten sie den erschöpften und verletzten Geflüchteten und übergaben ihn den Gendarmen. Die vier Männer erhielten die Belohnung zuerkannt.
Quellen/Literatur:
o. V.: Vierfacher Raub- und Meuchelmord, begangen am 10. und 23. November 1869 in Dobreng und Bachsdorf bei Marburg von Matthäus Ulbl. Schaudererregende That im neunzehnten Jahrhundert. Verlag des Karl Jellemitzky, Graz, o. J.
Vierfacher Meuchelmord. In: Wiener Zeitung, 16. Jänner 1871, S. 7-8
Vierfacher Raub- und Meuchelmord. In: Neue Freie Presse, 16. Jänner 1871, S. 5
Ulbl auf Reisen. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, 19. Dezember 1875, S. 9