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  • Alfred Ellinger

Terror und die Medien

Terror braucht die Medien! Terror will Schrecken verbreiten, um Gesellschaften zu destabilisieren. So lautet die Schlussfolgerung zahlreicher wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten.

Die Bedeutung der Medien für den Terrorismus liegt nicht nur in der „Propaganda durch die Tat“, sondern wesentlich auch in der Imagebildung. Das Image von Terroristen und Terrorgruppen wird mehr oder weniger von den Medien gemacht.

Die moderne Psychologie hat die Technik der Massenbeeinflussung perfektioniert. Der Mensch ist in seinen Auffassungen, in seiner Haltung und in seinem Handeln kollektiven gesellschaftlichen Einflüssen ausgesetzt. Ein wesentliches Mittel der Massenbeeinflussung sind die Massenmedien, die durch eine stürmische Entwicklung der Nachrichtentechnik immer schneller an den Konsumenten herangebracht werden können.

Der ehemalige Informationsintendant des ORF, Johannes Kunz, formulierte einmal ein grundlegendes Problem: „Die Information droht weltweit zur Massenunterhaltung zu degenerieren – nicht nur in den sogenannten „News-Shows“ mancher kommerzieller TV-Stationen. Das Wecken von Emotionen ersetzt die Aufklärung – nicht nur in der „Boulevard-Presse“ (Die (des-)informierte Gesellschaft, Peter Müller-Verlag).


Sex and Crime sells. Verbrechen haben die Menschen schon immer fasziniert und in ihren Bann gezogen. Der wachsende Konkurrenzdruck im Geschäft mit der Sensation lässt die Boulevard-Presse auch den Terror unter dem Schlagwort „Sex and Crime“ verkaufen und Journalisten immer öfter gegen das Grundprinzip des Journalismus verstoßen: niemals zu erlauben, gleichgültig, ob es sich um Kanzler, Minister oder sonstige Prominenz handelt, dass ihnen jemand die Kontrolle der Berichterstattung aus der Hand nimmt, dass sie selbst manipulierbar werden.

Umso weniger dürfen sich Journalis­ten von Terroristen manipulieren lassen. Dennoch erlauben Journalisten auf der ganzen Welt Drahtziehern des Terrors, um der Sensation und der Exklusivität der Berichterstattung willen, ihnen zu diktieren, welche Informationen zu veröffentlichen sind.

Um an häufig manipulierte Informationen zu gelangen, veröffentlichen Sensationsreporter bereitwillig „Kommandoerklärungen“, in denen Ursachen, Motivation und Zielsetzung terroristischer Aktionen einem breiten Publikum umfassend und manipulativ erläutert werden. In der modernen Sprechweise würde man sagen, es werden „fake news“ verbreitet.

Damit bieten aber manche Medien Terrorgruppen und Terroristen die gewünschte Publizität, die Möglichkeit der Selbstdarstellung, politisch-ideologischer Propaganda und der Demonstration von Gewalt, mit der Zielsetzung einer beachtlichen psychologischen Wirkung auf ein ungeheuer großes Publikum, insbesondere auf Jugendliche und leicht beeinflussbare Menschen.

Gelegentlich wird (von Journalisten) behauptet, dass die „Öffentlichkeitsarbeit“ von Terroristen oder Terrorgruppen keine Erfolge gebracht habe, sondern vielmehr ein völliges Versagen festzustellen sei. Dieser Auffassung kann kaum gefolgt werden. Denn, die erlangte Publizität durch einen erfolgreichen Terroranschlag kommt dem Legitimationsstreben von Terroristen entgegen und begünstigt vor allem die Schaffung eines Rekrutierungsumfeldes.


Märtyrereffekt. Aber selbst dann, wenn eine terroristische Aktion scheitert, können Terrorgruppen durch den oft eintretenden „Märtyrereffekt“ zumindest noch Teilziele erreichen. Nicht zuletzt wird aber durch eine exzessive Berichterstattung (etwa bei Entführungen) häufig eine erfolgreiche Polizeiarbeit in Frage gestellt und es kann zur Gefährdung involvierter Personen kommen. Um dafür, ebenso wie für schlechte oder versäumte Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive, ein Beispiel anzuführen, berichte ich bewusst über einen lange zurückliegenden Fall, nicht aus Österreich, sondern aus der Bundesrepublik Deutschland: Die „vier­undfünfzig Stunden vom 16. August 1988, 07:40 Uhr, bis zum 18. August 1988, 13:50“. In dieser Zeit wurde der Öffentlichkeit ein von „gewöhnlichen Verbrechern“ inszeniertes Geiseldrama, die „Aufführung des Todes zweier Menschen“ (wie die Medien es später nannten), von entfesselten und von moralischen Bedenken völlig unbehinderten Reportern „frei Haus“ geliefert.

In Gladbeck, Bremen, Oldezaal, Wuppertal und Köln (der Weg der Geiselnehmer) gefährdete eine Meute von Journalisten bedenkenlos das Leben von Menschen und stellte menschliche Todesangst und Qual szenisch dar. Der Polizei gelang keine die Situation entschärfende Kommunikation mit den Medienvertretern. Die von Sydney Lumet in dem Film „Hundstage“ erzählte Geschichte erscheint diesem Szenario nachempfunden, die Ähnlichkeit der Verbrecher Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner mit Al Pacino und seinem Komplizen, die Ähnlichkeit der filmischen Inszenierung mit der stattgefundenen Wirklichkeit ist beklemmend und gespenstisch. Nur das Ende der Geschichte divergiert: in „Hundstage“ wird Al Pacino festgenommen, sein Komplize getötet! ­– Auf der Autobahn bei Aegidienberg starb die Geisel Silke Bischof, von Degowski erschossen.


Betroffenheitsjournalismus. Terror und Terroristen brauchen die Öffentlichkeit, den Betroffenheitsjournalismus, die Faszination des Bösen! Eine freiwillige Nachrichtensperre hat eigentlich nur 1977, während der Entführung von Martin Schleyer durch ein Kommando der RAF, über Ersuchen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt und bei der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ nach Mogadischu am 13. Oktober 1977 („Operation Feuerzauber“), einigermaßen funktioniert.

Heute erscheint dies angesichts der Nutzung neuer Medien kaum mehr praktikabel. Jedermann kann mit dem Handy Videos drehen und diese ins Internet stellen. Terroristen nutzen Social-Media-Plattformen ( YouTube, Facebook, Twitter), weil sie leicht zugänglich sind, um ihre Botschaften zu verbreiten und vor allem junge Menschen durch meist gut gemachte, pathetische, mit Gewaltszenen gespickte Filme zu radikalisieren und letztlich zu rekrutieren.

Mit dem Internet, der fünften Macht im politischen Gefüge können terroris­tische Gruppen in einer Art psychologischer Kriegführung nicht mehr nur lokal, sondern weltweit agieren. Nicht zuletzt erfolgt auch die Planung von Terroranschlägen bereits weitgehend über das Internet. In Wahrheit brauchen Terroristen die klassischen Medien gar nicht mehr.


Katharsishypothese. Es gibt eine wohl nicht ganz richtige Grundüberlegung: Terrorismus kann es nicht gegeben haben, bevor es Massenmedien und eine Massenöffentlichkeit gegeben hat. Aber die psychologische Wirkung, der symbolische Gehalt des geübten Terrors, wird zweifellos medial verstärkt. Terrorismus und Medien sind sehr eng miteinander verknüpft! Die „Katharsishypothese“ nimmt an, dass die Darstellung aggressiven Verhaltens beim Konsumenten triebentladend und damit aggressionsmindernd wirke.


Die „Inhibitionshypothese“ nimmt gleichfalls an, dass die Darstellung von Gewalt aggressionshemmend wirke, weil die dargestellte Gewalt im Betrachter eine Aggressionsangst aktiviere, welche die Bereitschaft zu tatsächlich aggressivem Verhalten senke.


Demgegenüber vermutet die „Simulationshypothese“, dass durch die Betrachtung von Gewaltszenen ein Nachahmungsimpuls lebendig werde, es zu einer Stimulation aggressiven Verhaltens komme und die Folge davon bestehe in einer konkreten Steigerung der Aggressionsbereitschaft, die nach Auslebung dränge.


Die „Habitualitionshypothese“ geht davon aus, dass die wiederholte Konfrontation mit Gewaltdarstellungen zu einem Gewöhnungseffekt führe, demzufolge Gewalt als normales Mittel zur Durchsetzung von Ansprüchen empfunden werde. Diese wissenschaftlichen Theorien mit all ihren Facetten können sich auf experimentell exakt abgestützte und statistisch perfekt ausgearbeitete Arbeiten stützen, was wiederum nur beweist, dass es – aus psychologischer Sicht – offensichtlich nicht nur eine Wahrheit gibt, sondern mehrere.

Zweifellos spricht für die Wirkung einer Berichterstattung, die Gewalt exzessive darstellt, ein ganzes Bündel von Voraussetzungen und Komponenten eine Rolle. Wirkungsgrad, Wirkungsbereiche und Wirkungsziele sind von situativen Faktoren, gruppen- und schichtspezifischen Faktoren, familiären Voraussetzungen, persönlichkeits-psychologischen Faktoren und nicht zuletzt von programmatischen Faktoren abhängig. Es spielen sowohl die Intensität der gezeigten Gewalt, als auch deren Ursache und Zielzusammenhang ebenso wie der soziale Status und die Bildung des Medienkonsumenten eine wirkungsspezifische Rolle.

Es fehlt auch nicht an äußerst komplizierten Modellen, die dargestellten, einander widersprechenden Hypothesen unter „einen Hut“ zu bringen. Fest stehen dürfte jedoch, dass das Anbieten eines breiten Raumes für terroristische Propaganda und die über die erforderliche Information hinausgehende, oft geradezu epische Darstellung terroristischer Gewalt im Widerspruch zur Forderung nach aggressionshemmenden Maßnahmen und einer aggressionsmindernden Erziehung stehen.


Zweifellos unterliegen die Massenmedien einer Art Gesetzmäßigkeit, die sie geradezu zwingt, die Sensation, das Außergewöhnliche, Abartige zu berichten. Zieht man dazu das durch den aktuellen Zeitdruck bedingte Recherchedefizit und den damit im Zusammenhang stehenden zu (unzulässiger) Vereinfachung ins Kalkül, so kommt es häufig geradezu zwangsläufig zu einer, die Realität verzerrenden, dem Zeitgeist huldigenden und sich lediglich am medialen Erfolg orientierenden Berichterstattung. Die gesellschaftliche Verantwortung des medialen Handelns wird bewusst dem ökonomischen Erfolg untergeordnet. Der Historiker Walter Laqueur kommt zu dem vernichtenden Schluss, dass die Massenmedien, die Journalisten, das Wesen des Terrors offenbar überhaupt nicht verstanden haben (Walter Laqueur, Terrorismus, die globale Herausforderung, 1987).

Aber: Unsere Welt besteht nicht nur aus Terror und Terroristen; und die Medien sind nicht immer automatisch die Handlanger des Terrors. Die Medien brauchen die Journalisten und es ist der Beruf und die Aufgabe von Journalis­ten, die Öffentlichkeit möglichst objektiv zu informieren, auch über Terroranschläge, Krieg und Verbrechen. Journalisten müssen berichten. Und es ist heute fast unmöglich über Terror zu berichten, ohne sich angreifbar zu machen.

Deshalb: Nicht der Überbringer der Nachrichten über den Terror ist der Schuldige am Terror. Wer über Terrorismus berichtet, ist nicht in erster Linie Gehilfe und Wegbereiter des Terrors.

Die allein entscheidende Frage ist: wie und in welchem Ausmaß berichtet wird. Es ist nicht notwendig in klassischen Medien und Nachrichtensendungen die Enthauptung oder Verbrennung von Zivilisten und gefangenen Soldaten, oder Berichte aus dem Foltergefängnis von Abu Ghraib in Bild und Ton in alle Haushalte zu übertragen, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und ihrer Angehörigen nachhaltig zu verletzen. Es bedarf einer scharfen Abgrenzung zwischen Sensationslust und Chronistenpflicht, zwischen Voyeurismus und relevanter Nachricht.

Der deutsche Journalist und Sachbuchautor Franz Wördemann hat einmal formuliert: „Der moderne Terrorist hat sich zu einem Schausteller und En­tertainer entwickelt, der die Medien als Bühne benutzt“ (Franz Wördemann, Hans Joachim Löser, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, Piper 1977). Ein Dauerengagement auf dieser Bühne scheint (bedauerlicher Weise) gesichert.

Die Medien, vor allem die sozialen Medien müssen den Missbrauch durch Terroristen ernst nehmen. Gezielte Eingriffe durch Regierungen in die Freiheit der Medien erscheint nicht als der Weisheit letzter Schluss. Nicht einmal China, das immense Anstrengungen zur Kontrolle sozialer Netzwerke unternommen hat und durchaus weniger Bedenken hinsichtlich der Meinungsfreiheit hat, war bisher in der Lage, die Microblogs im Internet auszuschalten.

Auf einen Nenner gebracht: Der Anstand in der Berichterstattung darf nicht verloren gehen. Nicht Teil der Animation, sondern deren Spiegel sein!










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