- Rosemarie Pexa
Jugend in Haft
Ein Bericht der Volksanwaltschaft beschreibt die Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Justizanstalten.

Jugendliche gelten im Strafvollzug als besonders schützenswerte Gruppe. In der Praxis stoßen die Justizanstalten jedoch aufgrund von Personalknappheit und hohen Belagszahlen bei einem geringen Anteil minderjähriger Insassen häufig an ihre Grenzen, wenn es um eine dem jugendlichen Alter entsprechende Unterbringung, Beschäftigung und Betreuung geht. In ihrem Wahrnehmungsbericht 2022 „Jugend in Haft“ zeigt die Volksanwaltschaft Probleme auf und gibt Empfehlungen für eine Verbesserung der Situation ab.
Im Sommer 2020 beschloss der Menschenrechtsbeirat gemeinsam mit dem Nationalen Präventionsmechanismus (NPM), der aus der Volksanwaltschaft und den von ihr eingesetzten Kommissionen besteht, einen Präventionsschwerpunkt auf den Jugendstrafvollzug zu setzen. Im Rahmen des Schwerpunkts führten die Kommissionen insgesamt zwölf Besuche in der Sonderanstalt für Jugendliche in Gerasdorf, der Justizanstalt Schwarzau und mehreren gerichtlichen Gefangenenhäusern durch. Die Ergebnisse wurden in dem Bericht „Jugend in Haft“ zusammengefasst.
Unterstützung. Die Anzahl der in Österreich inhaftierten Jugendlichen sank von 2010 bis 2014, stieg von 2014 bis 2016 an und nahm danach wieder ab. Mit Stichtag 1. August 2022 waren 113 Jugendliche und 337 junge Erwachsene in Haft. Der Großteil der Jugendlichen ist für weniger als sechs Monate inhaftiert, am häufigsten wegen Delikten gegen fremdes Vermögen, vor allem wegen Raubs und Diebstahls. „Gerade für junge Menschen ist eine Inhaftierung oft ein besonders einschneidendes Erlebnis. Sind sie einmal in Haft, dann ist es notwendig, sie bestmöglich zu unterstützen, damit sie wieder in ein geregeltes Leben zurückfinden können“, so Volksanwältin Gaby Schwarz.
Der Schutz jugendlicher Straftäter wird in mehreren internationalen und nationalen Rechtsquellen geregelt, darunter das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die EU-Richtlinie zu Verfahrensgarantien im Strafverfahren für Kinder, das österreichische Strafvollzugsgesetz und das österreichische Jugendgerichtsgesetz. Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) setzte 2012 in einem Erlass Mindeststandards für den Jugendvollzug und die Jugendabteilungen in österreichischen Justizanstalten fest. Inwieweit die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden, überprüften die Kommissionen bei ihren Besuchen.
Trennungsgebot. Das Jugendgerichtsgesetz gibt vor, dass Jugendliche und Erwachsene getrennt voneinander anzuhalten sind. Eine Ausnahme ist möglich, wenn sich eine negative Beeinflussung oder Benachteiligung der Jugendlichen ausschließen lässt. Das war laut dem NPM bei einem Jugendlichen, der sich im Sommer 2020 in der Justizanstalt Innsbruck in Untersuchungshaft befand und gemeinsam mit einem Erwachsenen in einem Haftraum der Quarantäneabteilung angehalten wurde, der Fall. Der Jugendliche gab an, sein Mitinsasse sei „durchaus okay“ und kenne sich in der Anstalt aus. Die Alternative wäre eine Unterbringung des Jugendlichen alleine in einem Haftraum in der Quarantäneabteilung gewesen.
In der Justizanstalt Feldkirch stellte der NPM dagegen eine Verletzung des Trennungsgebots fest. Die Anstalt verfügt über keine Jugendabteilung, was mit der niedrigen Zahl an jugendlichen Insassen begründet wird. Im Bericht heißt es jedoch, dass angesichts der durchschnittlichen Anzahl von 12 bis 13 Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine eigene Jugendabteilung eingerichtet werden sollte. Eine Umsetzung dieser Empfehlung ist im Zuge des geplanten Neu- bzw. Umbaus der Anstalt vorgesehen.
Wohngruppen. Eine Alternative zu reinen Jugendabteilungen stellen gemeinsame Wohngruppen für Jugendliche und Erwachsene dar, sofern von letzteren kein schädlicher Einfluss ausgeht. Unter Wohngruppenvollzug versteht man Abteilungen, in denen die Haftraumtüren den ganzen Tag über bis zum Abend unverschlossen sind, auch am Wochenende. Die Insassen können sich frei bewegen, in der Gemeinschaftsküche kochen und Zeit außerhalb ihres Haftraums verbringen.
In der Justizanstalt Salzburg stellte die Anstaltsleitung fest, dass eine reine Jugendabteilung nur schwer konfliktfrei zu führen ist. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre ging man daher dazu über, auch Erwachsene, die sich als zuverlässig erwiesen hatten, in die Jugendabteilung aufzunehmen. Das Zusammenleben funktioniert nach Auskunft der Anstaltsleitung seither viel besser, ein Wohngruppenvollzug ist möglich.
Gelockerter Vollzug. Der NPM rät seit Jahren, alle jugendlichen Untersuchungs- und Strafgefangenen im Wohngruppenvollzug anzuhalten und die Mindeststandards dahingehend zu adaptieren. Mit dem Hinweis auf räumliche Probleme lehnte das BMJ diese Empfehlung bisher ab. Die Mindeststandards schreiben nur vor, dass der Jugendvollzug als gelockerter Vollzug zu führen ist. Die Jugendabteilungen müssen am Wochenende an einem Tag mit ausreichend Personal besetzt sein, um die Hafträume für zumindest drei Stunden öffnen zu können.
Als Negativbeispiel dafür, dass zu lange Einschlusszeiten zu erhöhter Aggressivität führen können, nannte die Volksanwaltschaft im Bericht einen Vorfall in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Im April 2014 wurde ein Jugendlicher wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Nötigung eines 14-jährigen Mitinsassen verurteilt. Bereits Monate zuvor hatte der NPM auf das Gefahrenpotential hingewiesen, das sich entladen kann, wenn Jugendliche längere Zeit auf engstem Raum ohne Beschäftigung eingeschlossen sind.
Ausbildung und Freizeit. Eine Option, inhaftierte Jugendliche sinnvoll zu beschäftigen besteht darin, ihnen den Abschluss ihrer Schulbildung bzw. einer beruflichen Ausbildung zu ermöglichen. Junge Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, haben oft die Schule oder Lehre abgebrochen. Der NPM fordert, dass Jugendliche in Haft die gleichen Abschlüsse und Zeugnisse erhalten können wie Gleichaltrige, die in Freiheit Bildungseinrichtungen besuchen. Das ist allerdings nur durchführbar, wenn in den Justizanstalten genügend Personal, das die Ausbildungen leiten kann, zur Verfügung steht.
In der Justizanstalt Graz-Jakomini greift man im Rahmen des Arbeitsmarktprojekts „AusbildungsFit“, das vom Sozialministeriumservice gefördert wird und davor nur für Personen in Freiheit zugänglich war, auf externe Trainer vom BFI Steiermark zurück. Inhaftierte bis zu einem Alter von 24 Jahren erhalten die Möglichkeit, versäumte Basisqualifikationen und soziale Fähigkeiten nachträglich zu erwerben, unterschiedliche Ausbildungen und Berufe kennenzulernen. Da „AusbildungsFit“ nicht auf Justizanstalten beschränkt ist, kann das Angebot auch nach Entlassung aus der Haft weiter in Anspruch genommen werden.
Aktive Freizeitgestaltung spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle, um den Tagesablauf in Haft zu strukturieren. Auch in diesem Bereich sind die Möglichkeiten vom – oft nicht in ausreichendem Maß vorhandenen – Personal abhängig. Die Situation wurde durch einen Erlass aus dem Jahr 2019 verschärft, der vorschreibt, dass Jugendliche nur unter Aufsicht von Vollzugsmitarbeitern Fitnessgeräte benützen dürfen. Der NPM regt an, dass Sozialpädagogen, die mit den jungen Insassen Sport betreiben, gemeinsam mit ihnen kochen oder andere Freizeitaktivitäten unternehmen, in ausreichender Zahl und auch am Wochenende verfügbar sein sollten.
Benachteiligte Gruppen. In den Justizanstalten gibt es keine eigenen Abteilungen für weibliche jugendliche Insassen, diese werden im Frauenvollzug in den Frauenabteilungen angehalten. Sie nehmen zwar gemeinsam mit den männlichen Jugendlichen am Schulunterricht teil, abgesehen davon steht ihnen aber keine gemischtgeschlechtliche betreute Freizeitgestaltung zur Verfügung. Für weibliche Jugendliche in Haft ist das Freizeitangebot daher wesentlich geringer als für männliche und sollte ausgebaut werden.
Ebenfalls benachteiligt sind junge Insassen mit Migrationshintergrund, deren Anteil stetig ansteigt. Häufig haben sie zu geringe Kenntnisse der deutschen Sprache, um in Haft eine Lehre absolvieren zu können. Abhilfe könnten regelmäßig abgehaltene Deutschkurse schaffen. Zur Erleichterung der Eingliederung in die Gesellschaft empfiehlt der NMP Werte- und Orientierungskurse. Häufiger genutzt werden sollte auch die Möglichkeit der Übersetzung durch einen Videodolmetsch.
Besuche. Für junge Menschen in Haft ist es besonders wichtig, den Kontakt nach außen aufrechtzuerhalten. Besuchstermine sind sowohl Jugendlichen wie Erwachsenen an mindestens vier Wochentagen, davon wenigstens einmal am Abend oder am Wochenende, zu ermöglichen. Durch flexible Besuchszeiten können auch berufstätige Eltern ihre Kinder in der Haft besuchen.
Der NPM sieht im sogenannten Abholbesuch eine Möglichkeit, jugendliche Inhaftierte zu motivieren und zu resozialisieren. Bei dieser in der Justizanstalt Gerasdorf früher praktizierten Besuchsvariante nahmen Verwandte oder Freunde den Jugendlichen an der Pforte in Empfang und konnten mit ihm drei Stunden außerhalb der Justizanstalt verbringen. Dabei war auch erlaubt, in die nächstgrößere Stadt zu fahren. Da die Abholbesuche laut Justizministerium nicht den strengen Vorgaben für einen unbewachten Ausgang entsprechen, mussten sie eingestellt werden.
In der Zeit der wegen der Corona-Pandemie eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten wurde die schon lange davor vom NPM geforderte Videotelefonie für jugendliche und erwachsene Insassen von Justizanstalten realisiert. Im Unterschied zu herkömmlichen Telefonaten ist diese Form der Kommunikation mit der Außenwelt für die Häftlinge kostenlos. Nach Abschluss einer Testphase wurde Videotelefonie im März 2020 in sämtlichen Anstalten in den regulären Betrieb aufgenommen. Sie sollte, fordert der NPM, allen Jugendlichen im Strafvollzug offenstehen.