- Rosemarie Pexa
Im Fake-News-Dilemma
Jugendliche und Falschinformationen im Internet waren das Thema beim Safer Internet Day 2023.

Was tun, wenn man den Informationsquellen, die man am häufigsten nutzt, besonders wenig vertraut? Die naheliegendste Antwort wäre wohl, sich seine Informationen eben woanders zu holen. Für Jugendliche, die viel Zeit in – nicht als glaubwürdig eingeschätzten – Sozialen Netzwerken verbringen, scheint das keine Option zu sein. Laut einer Studie im Auftrag von Saferinternet.at könnte das unter anderem daran liegen, dass die Glaubwürdigkeit der klassischen Medien im Sinkflug begriffen ist. „Jugendliche sind in einem Fake-News-Dilemma“, bringt Matthias Jax, M.A., Projektleiter von Saferinternet.at, dieses Problem auf den Punkt.
Im Rahmen der EU-Initiative Saferinternet.at führte das Institut für Jugendkulturforschung und Kulturvermittlung für die Internet Service Providers Austria (ISPA) und das Österreichische Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT) im November 2022 eine Online-Erhebung mit dem Titel „Jugendliche und Falschinformationen im Internet“ durch. An dieser nahmen 400 Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren, repräsentativ nach Alter, Geschlecht und Bildungshintergrund, teil. Zusätzlich fanden fünf Fokusgruppen-Gespräche mit insgesamt 70 Teilnehmern zwischen 13 und 19 Jahren statt. Ergänzt wurde die Studie durch Praxiserfahrungen aus Saferinternet.at-Workshops.
Anlässlich des Safer Internet Day 2023 präsentierte Saferinternet.at die Ergebnisse am 2. Februar 2023 im Bundeskanzleramt. Die erhobenen Daten wurden mit denen der 2017 ebenfalls im Rahmen von Saferinternet.at durchgeführten Studie „Gerüchte im Netz: Wie bewerten Jugendliche Informationen aus dem Internet?“ verglichen. Insbesondere für die klassischen Medien Radio, Tageszeitungen und Magazine fiel die Bilanz ernüchternd aus.
Info-Quelle Internet. Der Trend, dass sich die Suche nach Informationen zu tagesaktuellen Themen – z. B. in den Bereichen Politik, Sport, Kultur oder Gesellschaft – zunehmend ins Internet verlagert, hält weiter an. Soziale Netzwerke liegen dabei an erster Stelle. Diese wurden 2017 von 59 Prozent der Jugendlichen zumindest einmal pro Woche genutzt, 2022 von 80 Prozent der Befragten, wobei 62 Prozent sogar täglich in Sozialen Netzwerken aktiv waren.
Besonders hohe Zuwächse konnte YouTube verzeichnen. Die Videoplattform rückte 2022 mit 75 Prozent auf Rang zwei vor, während 2017 nur 27 Prozent der Befragten angegeben hatten, YouTube mindestens einmal wöchentlich zu nutzen. YouTube ist auch jene Informationsquelle, auf die 2022 die wenigsten Jugendlichen komplett verzichteten. Laut Mag. Stefan Ebenberger, Generalsekretär der ISPA, erfreut sich YouTube unter männlichen Jugendlichen und unter 11- bis 14-Jährigen besonderer Beliebtheit.
Die Online-Kanäle von Influencern nutzen Jugendliche verstärkt als tägliche News- und Informationsquelle. Sie sehen Influencer als „moderne Journalisten“, ohne zu bedenken, dass es sich dabei meist um junge Menschen handelt, die keine journalistische Ausbildung absolviert haben und keinen redaktionellen Qualitätskriterien unterliegen. 37 Prozent der Befragten gaben 2022 an, sich täglich bei Influencern zu informieren, 26 Prozent tun dies mindestens einmal pro Woche.
Streaming statt TV. Auf dem vierten Platz lagen 2022 mit 27 Prozent täglichen und 32 Prozent mindestens einmal wöchentlichen Nutzern die Streaming-Plattformen. Zu diesen gab es – wie zu Influencern – im Jahr 2017 keine Nutzungszahlen. Die große Auswahl an Filmen und Serien von Streaming-Anbietern dürfte eine Rolle dabei spielen, dass das herkömmliche Fernsehen am TV-Gerät bei Jugendlichen an Attraktivität verloren hat. Es ist von 2017 auf 2022 um vier Prozent auf 55 Prozent zurückgefallen. 21 Prozent der Befragten gaben an, überhaupt nicht fernzusehen.
Alle weiteren Informationsquellen wurden 2022 von weniger als der Hälfte der Befragten zumindest einmal wöchentlich genutzt. Die höchsten Zuwächse von 2017 auf 2022 bei diesen Quellen gab es für Wikipedia – von 9 auf 39 Prozent. Blogs und über Suchmaschinen aufgerufene Webseiten, 2017 noch nicht abgefragt, kamen im Vorjahr auf 21 Prozent tägliche und 27 Prozent wöchentliche Nutzung. Podcasts, ebenfalls neu in der Wertung, lagen bei 7 bzw. 17 Prozent.
Weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen finden sich (abgesehen vom Fernsehen) die klassischen Medien: Radiosendungen werden zu 37, Gratiszeitungen zu 18 und Tageszeitungen bzw. Magazine nur zu 17 Prozent mindestens einmal wöchentlich genutzt, wobei Letztere von 2017 auf 2022 8 Prozent verloren haben. Jax ortete eine Verlagerung zu den Webseiten der klassischen Medien, die sich im Vergleichszeitraum fast verdoppelt haben und 2022 bei 39 Prozent lagen: „Die Jugendlichen konsumieren nicht die gedruckten Ausgaben, sondern die digitale Version.“ Die Affinität junger Menschen zu digitalen Medien könnte dabei eine Rolle spielen.
Wenig glaubwürdig. Fragt man die Jugendlichen, welche Informationsquellen sie für sehr glaubwürdig halten, sieht die Reihung anders aus. 2022 lag Wikipedia mit 25 Prozent an erster Stelle, 2017 mit 21 Prozent noch auf Platz vier. Die Online-Enzyklopädie ist die einzige von allen Informationsquellen, der zumindest ein Viertel der Befragten auch 2022 eine hohe Glaubwürdigkeit zugestehen. Fünf Jahre davor führten Radio (von 32 auf 21 Prozent gesunken) und Fernsehen (von 29 auf 20 Prozent) das Ranking an, gefolgt von den Webseiten klassischer Medien (von 29 auf 20 Prozent). Tageszeitungen bzw. Magazine (von 20 auf 12 Prozent) mussten ebenfalls deutliche Glaubwürdigkeitseinbußen verbuchen.
Eine Erklärung dafür liefert die Studie nicht. Unklar ist, ob die Berichterstattung über die Pandemie, die in der Bevölkerung teils zu weniger Vertrauen in die Medien geführt hat, auch bei der Jugend eine Rolle spielt. Laut DI Barbara Buchegger, M.Ed., pädagogische Leiterin von Saferinternet.at, vermieden die Jugendlichen, die an Saferinternet.at-Workshops teilnahmen, das Thema Corona. Die psychischen Auswirkungen der Krise waren bei ihnen jedoch deutlich erkennbar.
Auch wenn die Glaubwürdigkeit klassischer Medien mehr gelitten hat als die der Online-Medien, liegen erstere 2022 zwar hinter Wikipedia, aber immer noch vor den übrigen Informationsquellen. Diese werden von jeweils 8 bis 10 Prozent der Befragten als sehr glaubwürdig eingestuft, mit Ausnahme der Podcasts mit 4 Prozent. Vertrauensverluste gegenüber 2017 verzeichnen unter den digitalen Informationsquellen nur die Sozialen Netzwerke. Die Jugendlichen vertrauen also den klassischen Medien nach wie vor mehr, Tendenz sinkend, während die Glaubwürdigkeit der Online-Medien auf niedrigem Niveau stagniert.
Fakt oder Fake? „Der Rückgang bei der Nutzung von klassischen Medien und deren Glaubwürdigkeitsverlust bei jungen Menschen öffnet der Verbreitung von Fake News aus dubiosen Quellen Tür und Tor“, warnte Jax. Die Antworten der Befragten scheinen das zu bestätigen: Knapp die Hälfte ist sich sehr oft bzw. oft nicht sicher, ob eine im Internet gefundene Information wahr oder falsch ist. Trotzdem überprüfen selbst für schulische Zwecke nur 64 Prozent der Jugendlichen die Quellen – und das nur dann, wenn ihnen eine Information unglaubwürdig erscheint.
Das Wissen, wie man den Wahrheitsgehalt einer Information feststellen kann, ist nach eigener Einschätzung bei fast drei Viertel der Jugendlichen vorhanden. Vermittelt wird es meist von Lehrern oder Eltern, gefolgt von anderen Familienmitgliedern und Freunden. Von den Methoden, wie man Fake News erkennt, bevorzugen die Befragten den Vergleich mit anderen Quellen. Auch Eltern und Lehrern wird zugetraut, falsche von wahren Behauptungen zu unterscheiden. Internetseiten für den Faktencheck wie Mimikama oder Correctiv sind dagegen nur 22 Prozent der Jugendlichen bekannt, magere 12 Prozent nutzen sie tatsächlich.
Laut Buchegger werden in der Praxis häufig wenig zuverlässige Quellen zur Überprüfung herangezogen, etwa die Frage-Antwort-Plattform gutefrage.de, auf der nicht Experten, sondern andere Nutzer Fragen beantworten. Im Endeffekt entscheidet meist jedoch etwas ganz anderes darüber, ob Jugendliche eine Information glauben. „Wir haben in den Fokusgruppen-Gesprächen oft gehört, dass das Bauchgefühl für die Beurteilung von Informationsquellen eine wichtige Rolle spielt. Was dieses Gefühl ausmacht, können die Jugendlichen aber kaum beschreiben“, so Buchegger.
Kein Problem. Als Problem sehen die Jugendlichen die Schwierigkeit, Fake News zu erkennen, nicht. 57 Prozent der Befragten gaben 2022 an, falsche Informationen einfach zu ignorieren. Buchegger zitierte einen 15-Jährigen: „Gegen Fake News kann man eh nix machen. Da muss man damit leben, dass man sich nie sicher sein kann.“ Nur ein Teil der Jugendlichen geht aktiv gegen Falschmeldungen vor. Denjenigen, der Fake News teilt, darauf aufmerksam machen, die falsche Information an die Plattform melden oder eine Warnung als Kommentar hinterlassen, sind die am häufigsten genannten Strategien.
Wer Fake News verbreitet, muss nur selten mit sozialen Sanktionen rechnen. Nur 18 Prozent der Befragten löschen den Absender aus ihrer Liste, 14 Prozent blockieren ihn. Die Hälfte der Jugendlichen leitet Nachrichten zu aktuellen Themen ungeprüft weiter und trägt damit selbst unbeabsichtigt zur Verbreitung von Falschmeldungen bei. Warum sie auf einen Faktencheck verzichten, hat für die meisten einen einfachen Grund: 53 Prozent empfinden die Überprüfung der Informationsquellen als mühsam.
Um diese Situation zu ändern, sieht Ebenberger vor allem die Erwachsenen in der Pflicht: „Die Plattformbetreiber bemühen sich seit Jahren, die Verbreitung von Falschnachrichten zu erschweren und auf solche zu reagieren. Die Ergebnisse der Studie zeigen eindeutig, dass wir noch mehr Aufklärungsarbeit leisten müssen, um das Bewusstsein der Jugendlichen zu stärken, wo und wie Falschmeldungen gemeldet werden können.“
Rosemarie Pexa