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Rosemarie Pexa

Für Änderungen begeistern

DSN-Direktor Haijawi-Pirchner hat sich zum Ziel gesetzt, Staatsschutz und Nachrichtendienst auf einen guten internationalen Standard zu heben.



Wenn Mag. Omar Haijawi-Pirchner, BA MA, von seinen Erfahrungen bei der Polizei und den Plänen für die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) berichtet, sind Motivation und Leidenschaft für seinen Beruf spürbar. Diese möchte er auch seinen Kollegen vermitteln. „In den großen Stationen meiner beruflichen Laufbahn ist es mir immer darum gegangen, Veränderungen umzusetzen und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür zu begeistern“, so der DSN-Direktor.

In leitender Funktion war er im Landespolizeikommando Niederösterreich, danach im Referat für grenz- und fremdenpolizeiliche Angelegenheiten des Stadtpolizeikommandos Schwechat und schließlich im Landeskriminalamt Niederösterreich tätig. Ab Februar 2020 leitete er neben seinem Dienst im LKA Niederösterreich die Arbeitsgruppe Nachrichtendienst des vom Bundesministerium für Inneres eingerichteten Projekts zur Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), ab Juni 2020 fungierte er als dessen geschäftsführender Gesamtprojektleiter.

 

Hybride Organisation. Seit Beginn ihres Bestehens am 1. Dezember 2021 ist Haijawi-Pirchner Direktor der DSN. Der größte Unterschied zu ihrer Vorgängerorganisation besteht in der Trennung der Bereiche Staatsschutz und Nachrichtendienst. Der Staatsschutz agiert als polizeiliche Ermittlungsbehörde mit dem Ziel, verfassungsschutzrelevante Gefahren abzuwehren, während sich der Nachrichtendienst mit dem Sammeln und Analysieren von Informationen über verfassungsschutzrelevante Bedrohungslagen befasst. Zum permanenten Informa­tionsaustausch zwischen Staatsschutz und Nachrichtendienst wurde in der DSN das „Gemeinsame Informations- und Lagezentrum“ eingerichtet.

„Früher haben alle Bediensteten ‚beide Hüte aufgehabt‘. Durch die Teilung in zwei Organisationseinheiten können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihr jeweiliges Aufgabengebiet konzentrieren“, streicht Haijawi-Pirchner einen wesentlichen Vorteil der hybriden Organisationsstruktur heraus, die es nur in wenigen EU-Staaten gibt. Die Umstellung habe einige Zeit gedauert, doch nun sei man auf einem guten Weg.

Diesen sieht Haijawi-Pirchner nicht durch Vorkommnisse im BVT beeinträchtigt, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen – insbesondere der Spionageverdacht gegen den ehemaligen BVT-Mitarbeiter Egisto Ott. „In diesem Fall – es gilt die Unschuldsvermutung – hat ein Innentäter Informationen an jemand anderen, even­tuell für eine Gegenleistung, weitergeben. Innentäter lassen sich nie zu hundert Prozent ausschließen, aber man kann ihre Vorhaben erschweren“, erklärt Haijawi-Pirchner. Die Reform habe auch zum Ziel gehabt, Sicherheitslücken zu schließen.

 

Omar Haijawi-Pirchner: „Wenn jemand bei uns arbeiten möchte, braucht sie oder er neben einer Sicherheitsüberprüfung auch eine Vertrauenswürdigkeitsprüfung.“

Sicherheitsmaßnahmen. Wie das im Konkreten umgesetzt wurde, legt die DSN aus nachvollziehbaren Gründen nicht offen. Mit einigen der Sicherheitsmaßnahmen ist man konfrontiert, wenn man als Besucher den Sitz der DSN am Rennweg betritt – etwa mit Sicherheitskontrollen im Eingangsbereich.

Um zu verhindern, dass die eigenen Mitarbeiter vertrauliche Informationen weitergeben, setzt man schon bei der Auswahl des Personals an. „Wenn jemand bei uns arbeiten möchte, braucht sie oder er neben einer Sicherheitsüberprüfung auch eine Vertrauenswürdigkeitsprüfung. Das ist eine tiefgreifende Prüfung des Umfelds, des Vorlebens und der finanziellen Situation samt des Bankkontos“, beschreibt Haijawi-Pirchner.

Wer ständig sein Konto überzieht, hat also schlechte Karten – immerhin soll vermieden werden, dass ein Mitarbeiter in Geldnöten in Versuchung gerät, sich geheime Informationen abkaufen zu lassen. Ein weiteres Ausschlusskriterium ist naheliegend: Personen, die in der Vergangenheit mit extremistischen Organisationen sympathisiert und z. B. einschlägige Beiträge in Sozialen Medien gepostet haben, kommen für eine Tätigkeit als Verfassungsschützer nicht in Frage.

 

Rekrutierung. Keine Bedingung ist es hingegen, davor als Polizist tätig gewesen zu sein. „Wir stellen auch externes Personal ein, frisch von der Uni oder aus der Privatwirtschaft. In der DSN gibt es Stellen mit unterschiedlichen Anforderungen, z. B. Sprach- oder IT-Kenntnisse. Für Finanzermittlungen benötigen wir Leute aus dem Bankensektor, die Due-Diligence-Prüfungen durchführen können“, so Haijawi-Pirchner. Mitarbeiter mit Insiderwissen über für den Verfassungsschutz relevante Communitys würden ebenfalls gebraucht. Bei Observationen sei es wichtig, Handlungen der Zielperson richtig bewerten zu können. Der DSN-Direktor empfiehlt, sich bei Interesse – falls keine passende Stelle ausgeschrieben ist – initiativ zu bewerben.

Seit 2020 muss jeder Bewerber ein dreiteiliges Auswahlverfahren durchlaufen. Neue Mitarbeiter absolvieren nach der Grundausbildung eine Fortbildung, die sich von jener des ehemaligen BVT unterscheidet. Im Rahmen eines zweiteiligen Studiums steht der Studiengang „Counterterrorism, Counter Violent Extremism and Intelligence“ an der Donauuniversität Krems auf dem Programm und seit 2023 der Lehrgang „Verfassungsschutz“ an der Fachhochschule Wiener Neustadt, den derzeit ausschließlich DSN-Mitarbeiter besuchen dürfen. Damit hat man die Ausbildung an internationale Standards angepasst.

In den letzten Jahren ist es laut Haijawi-Pirchner gelungen, weitere kompetente Mitarbeiter zu rekrutieren, wobei noch weiter Personal aufgebaut wird. Dass es beim Personal nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ eine Steigerung gegeben hat, zeige sich am Zuwachs an Informationen und an den positiven Rückmeldungen von außen.

Vernetzung. Haijawi-Pirchner sieht es als eine seiner Kernaufgaben, nach den Vorkommnissen in Zusammenhang mit dem BVT international Vertrauen aufzubauen und zu bewahren. Die DSN ist mittlerweile wieder gut vernetzt und kooperiert mit Partnern in operationaler und strategischer Hinsicht. Der DSN-Direktor betont, wie wichtig das sei: „Ohne internationale Vernetzung ist ein Nachrichtendienst nicht überlebensfähig und kann Bedrohungslagen nicht bewerten. Wir geben Informationen weiter und bekommen andererseits welche.“

 

Bedrohungen. Als größte verfassungsschutzrelevante Bedrohung stuft Haijawi-Pirchner aktuell den islamistischen Extremismus ein. Rechtsextremismus mit Verbindung zum Waffenhandel stellt für die DSN ebenfalls ein zentrales Thema dar. Weniger sichtbar und medial präsent ist Spionage, die insbesondere in Form von Wirtschaftsspionage einen massiven volkswirtschaftlichen Schaden verursacht.

Seit der Verfassungsschutzreform stehe die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft auf der Agenda des Verfassungsschutzes ganz oben, betont Haijawi-Pirchner: „Wir kooperieren mit der Wirtschaft, um mit Unternehmen im Austausch zu sein und sie zu beraten, aber auch, um zu erfahren, wenn ein physischer oder ein Cyberangriff erfolgt ist. Dadurch wissen wir, welche Maßnahmen wir treffen können, um andere Unternehmen zu schützen.“ Beliebte Opfer sind sogenannte „Hidden Champions“ – kleine Unternehmen mit hoher Expertise auf ihrem Gebiet.

Der Großteil der Spionageangriffe erfolgt auf digitalem Weg. Cybercrime ist der am schnellsten wachsende Deliktbereich – und dann für die DSN relevant, wenn sie in Verbindung mit Spionage oder Extremismus steht. „Im nachrichtendienstlichen Bereich geht es bei Cybersicherheit darum, zukünftige Bedrohungslagen rechtzeitig zu erkennen oder einen Fall aufzuklären, daraus Lehren zu ziehen und Präventionsmaßnahmen abzuleiten“, so Haijawi-Pirchner. Aktiv wird die DSN auch, wenn Personen wie Politiker, für deren Schutz sie verantwortlich ist, betroffen sind.

 

Fake News. Ein vergleichsweise neuer Aspekt der kriminellen Nutzung digitaler Technologien ist der Miss­brauch von Künstlicher Intelligenz zur Erstellung von Fake News und Deep­fake-Videos, um Personen zu diskreditieren oder zu beeinflussen. Diese Entwicklung wird die DSN in Zukunft vor wachsende Herausforderungen stellen, ist Haijawi-Pirchner überzeugt. Auch die DSN kann KI-Systeme nutzen, z. B. zur Erkennung von Waffen auf Fotos in Sozialen Medien, und wird in den nächsten Jahren zusätzliche Ressourcen für Künstliche Intelligenz bereitstellen.

Desinformationskampagnen, die versuchen, auf das politische Geschehen Einfluss zu nehmen, sind seit der Pandemie verstärkt zu beobachten, im Wahljahr 2024 rechnet der DSN-Direktor mit einer weiteren Zunahme. Heuer seien vor allem russische Narrative verbreitet worden, Russland bemühe sich, die politische Ausrichtung in der EU zu seinen Gunsten zu verändern.

 

Befugnisse. Was die Befugnisse des Verfassungsschutzes angeht, sei Österreich innerhalb der EU am schwächsten aufgestellt, bedauert Haijawi-Pirchner: „Unsere stärkste Befugnis ist die Observation – aber wenn die Observantin oder der Observant sieht, dass eine Person einer anderen etwas am Handy zeigt, können wir nicht darauf zugreifen und wissen nicht, was die beiden planen. Wir dürfen nicht auf Messengerdienste zugreifen und sind unserem Gegenüber so immer einen Schritt zurück. Wenn wir wissen, was Hochrisikogefährder planen, können wir die entsprechenden Maßnahmen zur Gefahrenabwehr effizienter planen und durchführen.“

 

TK-Überwachung. Haijawi-Pirchner plädiert dafür, der Polizei mehr Möglichkeiten zur Telekommunikationsüberwachung in den Bereichen schwerster organisierter Kriminalität und Terrorismus zu geben. Könne man den Moment des polizeilichen Einschreitens so wählen, dass eine optimale Beweislage gegeben ist, wären mehr Verurteilungen möglich. Sowohl die DSN als auch die Kriminalpolizei brauche eine höhere Akzeptanz dafür, was sie benötigt, um die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. „Meine Vision ist die Weiterentwicklung des Nachrichtendienstes und des Staatsschutzes in jeglicher Hinsicht, um die bestehenden und noch kommenden Bedrohungslagen so gut wie möglich bewältigen zu können“, so der DSN-Direktor.                           











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