- Rosemarie Pexa
Experte für Taschendiebstähle
Chefinspektor Norbert Kappel vom LKA Wien, Außenstelle Zentrum-Ost, wurde von der Vereinigung österreichischer Kriminalisten für sein Lebenswerk geehrt.

Chefinspektor Norbert Kappel von der Außenstelle Zentrum-Ost des Landeskriminalamts Wien ist der Experte zum Thema organisierter Taschendiebstahl in Österreich, hat in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt die Datenbank Taschendiebstahl aufgebaut und in einen dreijährigen Joint Investigation Team (JIT) mitgewirkt. Bei der Verleihung der Awards „Kriminalist des Jahres“ am 7. Oktober 2022 im Wiener Rathaus, wurde er für sein Lebenswerk mit dem Ernst-Hinterberger-Preis ausgezeichnet.
Vor 40 Jahren, nach Matura, Grundwehrdienst und einem nicht abgeschlossenen Studium der Verfahrenstechnik, trat Kappel in den Polizeidienst ein. Die Dienstprüfung bestand er im Juli 1983 als Klassenbester und erhielt als Anerkennung seiner Leistung von den Freunden der Wiener Polizei einen Silberteller. Schwer sei ihm die Prüfung nicht gefallen, so Kappel: „Das Lernen war ich gewöhnt und die Ausbildung hat mich interessiert.“ Das galt auch für oft als „schwierig“ empfundene Gesetzestexte. Kappel wettete damals mit einem anderen Polizeischüler, dass er in nur einer Stunde § 24 StVO auswendig lernen könne – und gewann die Wette.
Langweilig wurde es dem jungen Polizisten zwar nicht beim Lernen, aber bei seinem anschließenden Dienst in der Donaustadt ab August 1984, den er folgendermaßen beschreibt: „Ich war neun Monate lang eingeteilt, die UNO-City zu bewachen. Im Winter war es sehr kalt, bis minus 20 Grad, aber die Ausrüstung hat nur bis knapp unter Null Grad gewärmt.“ Er wusste sich zu helfen und zog „private“ Pullover unter der zu dünnen Uniform an.
Brigittenau. Wesentlich spannender war es im Stadtpolizeikommando Brigittenau, wo Kappel im Mai 1985 Teil einer „lässigen jungen Partie“ wurde. Er und seine Kollegen hielten laufend Kontakt mit der Bevölkerung, vor allem mit Geschäftsleuten, und waren mit den unterschiedlichsten Aufgaben befasst: von der – häufigen – Kennzeicheneinziehung, weil die Fahrzeugbesitzer die Kfz-Haftpflichtversicherung nicht bezahlt hatten, über die Klärung von Raub- und Einbruchsdelikten bis hin zu Mordfällen.
Der Anblick seiner „ersten Leiche“ ist Kappel bis heute im Gedächtnis geblieben: die typische „Fechterstellung“ von Brandleichen mit gebeugten Hand- und Ellbogengelenken infolge der Hitzeschrumpfung der Muskulatur. Genauer gesagt handelte es sich um zwei Leichen, um eineinhalbjährige Zwillinge. Deren Mutter war fortgegangen, als mitten in der Nacht aus ungeklärter Ursache ein Brand in der Wohnung ausbrach. „Meine Tochter war damals im gleichen Alter. Ich habe mir gedacht: Wie kann man so kleine Kinder nur alleine lassen?“, so Kappel.
Robert M., einen „Profi-Einbrecher“, konnten Kappel und seine Kollegen auf frischer Tat betreten. Vor einem Wohnungseinbruch im 20. Bezirk wollte sich der Täter vergewissern, dass kein Nachbar zu Hause war, und klingelte an der Nebentür. Der schlaftrunkene Nachbar ging erst zur Tür, als sich M. schon nebenan zu schaffen machte, schöpfte Verdacht und rief die Polizei. Kappel und seine Kollegen näherten sich der einen Spalt weit offenstehenden Wohnungstür mit gezogener Waffe. Der Einbrecher sah die Uniformierten und versteckte seine Pistole unter dem Bett. „Er hätte sich den Weg freigeschossen, wenn wir die Waffen nicht schussbereit gehabt hätten“, erinnert sich Kappel an das Geständnis des Täters.
Die Vaverka-Brüder, die aufgrund der Wahl ihrer Fluchtfahrzeuge „GTI-Bande“ genannt wurden, entgingen nur knapp einer Festnahme durch Kappel und seine Kollegen. Als die Brüder einen Supermarkt in der Engerthstraße überfielen, alarmierte jemand die Polizei. „Wir waren mit dem Streifenwagen nur zwei Häuserblöcke entfernt, aber ein Verkehrsunfall hat uns aufgehalten“, schildert Kappel. Später wurden die Brüder, die immer mit Pumpguns oder Schrotflinten bewaffnet waren, bei einem Feuergefecht nach dem Überfall auf einen Geldtransporter bei der Shopping City Nord angeschossen.
Leopoldstadt. Nach dem Kriminalbeamtenkurs wurde Kappel im September 1990 der Bezirksabteilung Leopoldstadt als Kriminalbeamter zugeteilt. Auch hier war er mit einer großen Vielfalt an Delikten konfrontiert. Ermittlungen wegen gefälschter Aufenthaltsvisa für Jugoslawen oder gestohlener Kreditkarten standen auf der Tagesordnung, aber auch Mordfälle mussten geklärt werden. Schnell ging das im Fall eines geflüchteten Täters nach einer nächtlichen Auseinandersetzung in einem Lokal, die tödlich geendet hatte. „Ein Streit zwischen zwei Betrunkenen ist eskaliert. Einer hat aus der Küche ein Messer geholt, zugestochen – und genau das Herz des anderen erwischt. Bis in der Früh haben wir den Täter ausgeforscht“, so Kappel.
Kriminalistischen Spürsinn bewies Kappel auch, als eine Jugoslawin den Diebstahl ihres Mietwagens anzeigte. Das angebliche Diebstahlsopfer gestand schließlich, mit zwei angemieteten Autos in die Ukraine gefahren zu sein, um sie dort zu verkaufen, allerdings vergeblich. Also hatte sie es gemeinsam mit drei Mittätern im kroatischen Županje an der bosnischen Grenze noch einmal versucht, diesmal mit Erfolg. Bei der Klärung dieses Betrugsfalls konnten die Ermittler gleich einen weiteren aufdecken: Eine Angestellte der Autovermietung hatte die in bar bezahlte Summe für den Mietwagen eingesteckt und stattdessen „Kartenzahlung“ samt erfundener Kreditkartennummer in der Buchhaltung vermerkt.
Anfang 2004 wurde Kappel Stellvertretender Gruppenführer der Diebstahlsgruppe 4 im Kriminalkommissariat Zentrum-Ost. Von den zahlreichen aufgeklärten Trickdiebstählen ist ihm einer besonders in Erinnerung geblieben, bei dem „Kommissar Zufall“ eine Rolle gespielt hatte: Im Zuge einer Streife beobachtete Kappel, wie Männer Teppiche und ein Bild in ein Auto luden, wurde misstrauisch und notierte die Autonummer. Kurz danach rückte die Tatortgruppe an, denn drei Täter hatten sich mit dem „Elektriker-Schmäh“ Zugang zu einer Wohnung verschafft. Während ein Mann vorgegeben hatte, nach schadhaften elektrischen Leitungen zu suchen, hatten seine Komplizen Einrichtungsgegenstände abtransportiert. Alle drei Täter wurden gefasst.
Einer rumänischen Tätergruppe wurde das ungeschickte Verhalten des Fahrers ihres Fluchtwagens zum Verhängnis. Die Bande hatte bei einem Einbruch in der Zentrale der Restaurantkette „Nordsee“ im 3. Bezirk Gutscheine mitgehen ließen, die der Fahrer gleich am nächsten Tag in einer Nordsee-Filiale in seiner niederösterreichischen Heimatgemeinde einlösen wollte. Kappel und seine Kollegen konnten den Rumänen 75 Geschäftseinbrüche in Ostösterreich nachweisen. „Einer der Täter ist in Wiener Neustadt einvernommen worden, er hat alles zugegeben“, so der Kriminalist.
Am 1. Mai 2009 übernahm Kappel die Diebstahlsgruppe 1 der Ast Zentrum-Ost als Gruppenführer. Trickdiebe beschäftigten ihn auch weiterhin, etwa eine polnische Tätergruppe, die mit dem „Glas-Wasser-Trick“ in 20 Fällen insgesamt rund 400.000 Euro erbeutete. Ebenso ausgeforscht und verurteilt wurden Mitglieder einer anderen Bande, die den Geldausgabeschlitz von Fahrkartenautomaten manipuliert und anschließend das zurückgehaltene Retourgeld eingesammelt hatten.
ARGE Taschendiebstahl. Im November 2009 wurde die ARGE Taschendiebstahl gegründet. Als der damalige Gruppenführer im Jahr 2013 in Pension ging, übernahm Kappel die Gruppe als Gruppenführer. Die Einarbeitung gestaltete sich schwieriger als vermutet. Viele Wünsche wurden von der Mannschaft zur Umsetzung herangetragen, und ein OK-Akt mit vielen Problemfeldern stand gerade am Beginn der Ermittlungen.
Als Kappel 2013 die ARGE Taschendiebstahl als Gruppenführer übernahm, war ihm der Kontakt zu den Kollegen aus den Bundesländern ein besonderes Anliegen. 2015 organisierte er in Absprache mit dem Bundeskriminalamt die erste Bundesländertagung, an der Vertreter des BK, der ARGE, der Landeskriminalämter und der fünf größten Stadtpolizeikommanden teilnahmen. Die Tagung war ein voller Erfolg, die Zusammenarbeit konnte intensiviert werden. In der Folge fanden sechs weitere Bundesländertagungen zu unterschiedlichen Themen statt, als Vortragende konnten auch Experten aus anderen EU-Staaten und von Europol gewonnen werden.
Auf internationale Kooperation legt Kappel ebenfalls großen Wert, da man nur so der mobilen Tätergruppen habhaft werden kann. Mit der Mitwirkung am JIT und der Teilnahme an internationalen Tagungen – etwa 2014 in Sarajevo, 2016 und 2017 in Paris – sowie mehrere Male an der European Pickpocketing Conference (PPC), konnte er sich ein Netzwerk schaffen und ausbauen. Kennt man die Kollegen in anderen Länder persönlich, ermöglicht das einen raschen und unbürokratischen Vergleich von Lichtbildern unbekannter Täter.
Mit der 2015 in Betrieb genommenen Datenbank Taschendiebstahl verfügt die ARGE Taschendiebstahl über eine besonders große Anzahl an Lichtbildern. Noch im selben Jahr erhielten Kappel und seine Kollegen den Auftrag, alle in Österreich eingemeldeten Taschendiebstahlsfälle zu sichten. Bis zum heutigen Tag wurden die Aufnahmen von rund 2.300 unbekannten Tätern in die Datenbank eingespeichert, von denen etwa 80 Prozent ausgeforscht und dadurch mehr als 3.300 Diebstähle geklärt werden konnten.
Kappel, der für seine Arbeit 2017 mit dem Sicherheitsverdienstpreis ausgezeichnet wurde und 2021 das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich erhielt, blickt stolz auf die Erfolge der ARGE Taschendiebstahl seit deren Gründung zurück: „In neun Jahren sind die Fallzahlen um 82 Prozent reduziert worden: 2013 gab es 21.400 Fälle, 2019 waren es 8.400 und 2021 – allerdings auch aufgrund der Corona-Pandemie – nur 4.035. Europaweit werden durchschnittlich fünf Prozent aller Fälle geklärt. Bei uns liegt die Aufklärungsquote seit 2013 jedes Jahr darüber, meist sind es sieben bis acht Prozent, der Rekord waren neun.“