- Werner Sabitzer
Ein halbirrer Raubmörder
Emanuel Czibula erschlug zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Raubabsicht in Budapest und Wien mindestens drei Menschen. Ein Doppelmord in Pressburg konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Wurde es eng, täuschte er eine Geisteskrankheit vor und entkam dem Galgen.

Johann Luksch, Partieführer im Steinbruch der Gemeinde Wien in Sievering, entdeckte am 13. November 1911 in einer Mulde im Gspöttgraben blutige Steine, die mit Reisig bedeckt waren. Er vermutete ein Wildererversteck und entfernte einige Steine. Dabei kam eine zur Faust geballte Hand zum Vorschein. Luksch verständigte seine Kollegen im Steinbruch und lief danach den Gspöttgraben hinunter in die Sieveringer Straße, wo er einen Wachmann antraf. Der Polizist eilte mit dem Partieführer zur grausigen Fundstelle.
Unter den Steinen, die mit Reisig bedeckt waren, lagen zwei männliche Leichen. Ihre Schädel waren zertrümmert. Das Wiener Sicherheitsbüro übernahm den Mordfall. Der Chef des Sicherheitsbüros, Regierungsrat Moritz Stukart, übernahm die Leitung der Ermittlungen und fuhr zum Auffindungsort, auch der bekannte Gerichtsmediziner Prof. Albin Haberda kam zum Lokalaugenschein.
In der Nähe der Leichen wurde in einem Gebüsch ein Hammer sichergestellt. Es handelte sich um das Mordinstrument. Auch Kleidungsstücke der Toten wurden gefunden. An dieser Stelle dürfte der Doppelmord verübt worden sein. Die Leichen dürften dann in den Gspöttgraben geschleift und notdürftig verscharrt worden sein.
Taglöhner als Mordopfer. Bei den Mordopfern handelte es sich um die Taglöhner Johann Hlowetzky und den 38-jährigen Florian Konecny. Die kroatischstämmigen Männer arbeiteten seit einigen Tagen bei einer Firma, die im Auftrag der Stadt Wien in Sievering Grabungen für einen Wasseranschluss an die zweite Hochquellenleitung vornahm. Die Männer hatten keine Unterkunft, sondern schliefen in einem Heuschober oder in einem Verschlag in der Nähe des Sieveringer Steinbruchs. Sie wurden am 12. November 1911, einem Sonntag, zuletzt gesehen. Da sie als mittellos galten, schlossen die Ermittler einen Raubmord zunächst aus und vermuteten eher einen Racheakt, da Hlowetzky und Konecny am Sonntagvormittag in einer Branntweinausschank in der Sieveringer Straße mit anderen Arbeitern einen heftigen Streit hatten, der mit einer Prügelei im Freien endete. Die Kriminalisten nahmen als Tatverdächtigen bzw. möglichen Mitwisser des Doppelmordes zwei Arbeiter fest, die bei der Rauferei am Vortag beteiligt gewesen waren. Auch ein dritter Arbeiter geriet ins Visier der Ermittler, war aber nicht greifbar. Die beiden Festgenommenen wurden bald entlassen, da sie ihre Unschuld durch ein einwandfreies Alibi nachweisen konnten.
Verräterische Tätowierungen. Am Montagmorgen des 13. Novembers erschien beim Schichtenkontrollor des Steinbruchs ein Mann, der sich als „Franz Huber“ ausgab und Florian Konecny als krank meldete. Der Schichtenkontrollor stellte auf Ersuchen des Mannes einen Krankenzettel für Konecny aus. Dem Steinbrucharbeiter kam dieses Verhalten seltsam vor und er verständigte die Polizei. Als besonderes Merkmal nannte er, dass „Franz Huber“ einen „slowakischen Spitzhut“ getragen hätte.
Bei der Fahndung nach dem Beschriebenen trafen Polizisten in einem Gartensalettl in der Salmannsdorfer Straße einen Mann an, der sich als der in Wien geborene, 35 Jahre alte „Zimmermann Franz Huber“ ausgab und im Salettl genächtigt hatte. Die Tätowierungen an seinen Armen wiesen aber eher auf einen Fleischhauer als auf einen Zimmermann hin. So zeigte eine Tätowierung einen Ochsen mit einem Beil im Mund. Deshalb wurde der Mann festgenommen und eingehender verhört. Bei der Befragung war ein Polizist aus Pressburg (Bratislava) anwesend, der vermutete, dass es sich beim Festgenommenen um den geflüchteten, in Budapest verurteilten Raubmörder Emanuel Czibula handeln könnte.
Als der Festgenommene merkte, dass seine Tarnung aufgeflogen war, fing er wirr zu reden an und verhielt sich sonderbar. Um die wahre Identität des Mordverdächtigen nachzuweisen, holten die Kriminalisten seine Mutter nach Wien. Bei der Gegenüberstellung erkannte ihn die Mutter sofort und redete ihm zu, ein Geständnis abzulegen. Daraufhin gab der Verdächtige zu, der gesuchte Raubmörder von Budapest zu sein und auch die beiden Erdarbeiter erschlagen zu haben. Als „Tatmotiv“ behauptete er, „von Gott beauftragt“ worden zu sein, weil Gott betrunkene Leute hassen würde. Danach verweigerte er weitere Aussagen.
Weitere Indizien und Beweise sprachen für die Täterschaft Czibulas. Bei ihm wurden blutige Kleidungsstücke, eine Arbeitsbestätigung des einen und die Schuhe des anderen Mordopfers von Sievering sichergestellt. Außerdem sagten Zeugen aus, Czibula während der Tatzeit beim Steinbruch gesehen zu haben.
Emanuel Czibula, geboren in Budapest, arbeitete als Gärtner und Fleischhauer und wurde mehrmals straffällig. 1900 wurde er in das Infanterieregiment Nr. 26 eingezogen. Er desertierte, stahl Geld und flüchtete nach Budapest. Dort erschlug er am 8. Oktober 1901 einen Kutscher, raubte ihm die Kutsche mit einer Milchladung und verkaufte die Milch auf der Straße. Dabei wurde er verhaftet. Er hatte die Taschenuhr und die Stiefel des Mordopfers bei sich. Die Leiche wurde am nächsten Tag gefunden. Czibula gestand den Raubmord. Da er als Infanteriesoldat desertiert war, unterstand er der Militärgerichtsbarkeit. In der Untersuchungshaft täuschte er vor, geisteskrank zu sein. Deshalb wurde sein Geisteszustand untersucht. Er wurde aber für zurechnungsfähig erklärt. Ein Militärgericht verurteilte ihn zum Tod durch den Strang. Er wurde begnadigt und zu 15 Jahren schweren Kerkers verurteilt. Nach einiger Zeit wurde er als möglicherweise „irrsinnig“ in das Militär-Irrenhaus in Tyrnau eingewiesen. Von dort konnte er am 22. Juni 1911 flüchten.
Sechs Tage nach seiner Flucht vergewaltigte Czibula in Komorn ein Mädchen. Als das Opfer um Hilfe rief, wurden ein Flurwächter und einige Passanten aufmerksam. Sie überwältigten den Gewalttäter und übergaben ihn der Polizei. Da sich Czibula wirr gebärdete, wurde er wieder ärztlich untersucht. Die Gerichtspsychiater bezeichneten ihn als geistesschwach, aber zurechnungsfähig. Dennoch wurde Czibula am 3. November 1911 aus der Untersuchungshaft entlassen. Er fuhr nach Wien, wo er neun Tage später den Doppelmord in Sievering verübte.
Militärgerichtsurteil. Bei der Begutachtung wegen der Bluttat im Gspöttgraben konstatierten die Ärzte Emanuel Czibula ebenfalls als schwachsinnig, jedoch zur Tatzeit als zurechnungsfähig. Er wurde wegen meuchlerischen Doppelmordes, Vergewaltigung und Betrugs angeklagt. Das Betrugsdelikt bestand darin, dass Czibula sich mit dem ergaunerten Krankenzettel als Florian Konecny ausgegeben hatte, um unter dem Namen des von ihm Ermordeten Krankenkassenbeträge zu kassieren. Der Mörder ging davon aus, dass die Leichen seiner Mordopfer nicht so schnell gefunden würden.
Czibula wurde von den Kriminalisten verdächtigt, auch in Pressburg (Bratislava) einen Doppelmord begangen zu haben. Die Kriminalisten konnten ihm aber dieses Kapitalverbrechen nicht nachweisen.
Das Garnisonsgericht Wien schlug im August 1912 dem Korpskommandanten vor, Czibula wegen des Doppelmordes zum Tod durch den Strang zu verurteilen. Das oberste Militärgericht ließ nochmals prüfen, ob der Verurteilte geisteskrank sei, und änderte das Todesurteil in 20 Jahre schweren Kerkers ab. Das Urteil wurde Czibula am 7. Mai 1913 mitgeteilt. Eine Woche danach wurde er schwer bewacht mit der Eisenbahn nach Budapest gebracht, wo er die wegen des Kutschermordes verhängte Kerkerstrafe absitzen musste, bevor er die 20-jährige Freiheitstrafe des Wiener Militärgerichts antrat. Danach erwartete ihn die von einem Strafgericht in Komorn verhängte zweieinhalbjährige Kerkerstrafe wegen der Vergewaltigung.
Quellen/Literatur:
Die Leichen im Schotter; In: Edelbacher, Maximilian; Seyrl, Harald: Tatort Wien. 1. Band. Die Zeit von 1900–1924. Edition Seyrl, Wien 2004, S. 289-290
Ein Doppelmord im „Gspöttgraben“; in: Illustrierte Kronen-Zeitung, 14. November 1911, S. 6-8
Der Doppelraubmord im Gspöttgraben; in: Illustrierte Kronen-Zeitung, 6. August 1912, S. 9-10
Der Doppelmord Sievering; in: Die Neue Zeitung, 6. Mai 1913, S. 4-5
Einlieferung des Mörders Szibula nach Ungarn; in: Die Zeit, 15. Mai 1913, S. 6