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  • Rosemarie Pexa

Die Newcomerin

Die Tirolerin Bettina Strieder entstammt einer Polizistenfamilie. Ihr Vater und zwei Onkel trugen die Polizeiuniform.



Bei der Preisverleihung an die Kriminalisten des Jahres gab es heuer eine doppelte Premiere: Erstmalig wurde ein Award in der Kategorie „Newcomer“ vergeben – und diesen erhielt kein Ermittler des Bundeskriminalamts oder eines Landeskriminalamts, sondern eine junge uniformierte Polizistin. Inspektorin Bettina Strieder von der Polizeiinspektion Sillian in Osttirol hatte bei ihren ersten großen Fällen außergewöhnliches kriminalistisches Geschick bewiesen.

Die erfolgreichen Ermittlungen Strieders in zwei Betrugsfällen sorgten nicht nur für Schlagzeilen in den Me­dien, sondern auch für Interesse beim Bezirkspolizeikommando Kufstein und in der Folge bei der Landespolizeidirektion Tirol. Die Initiative, die junge Polizistin, die bis September 2022 ihren Dienst in der PI Niederndorf bei Kufstein versehen hatte, für den Krimina­lis­ten-Award vorzuschlagen, ging von Oberstleutnant Astrid Mair, BA, MA, damals Bezirkspolizeikommandantin Kufstein und jetzt Landesrätin, aus.

„Strieder ist hartnäckig, wenn es darum geht, einen Fall aufzuklären, und stellt an sich selbst hohe Ansprüche. Sie fragt geschickt und hat ein Gespür dafür, ob eine Aussage suspekt ist“, charakterisiert Mair die Preisträgerin. Die beiden Betrugsfälle erschienen zu Beginn nicht so komplex, doch durch die Ermittlungen Strieders kamen immer neue Erkenntnisse dazu, bis die tatsächliche Dimension klar wurde.

Mair betont aber auch die wichtige Rolle der Kooperation innerhalb der Polizei und der internen Ressourcen, die Strieder zu nutzen wusste: „Wir sind keine Einzelkämpfer. Strieder hat Unterstützung auf der PI und vom LKA bekommen, z. B. bei der Auswertung der Handydaten. Die österreichische Polizei hat auch mit der deutschen kooperiert.“


Traumberuf. Wie Polizeiarbeit – auch als Teamarbeit – funktioniert, wusste Strieder bereits aus ihrem familiären Umfeld: Ihr Vater und zwei Onkel, alle drei mittlerweile im Ruhestand, waren bei der Polizei, ein Cousin ist es nach wie vor. Schon seit dem Volksschulalter wollte sie selbst einmal zur Polizei gehen. Doch der Traumberuf schien unerreichbar, da sie mit 1,55 m die früher erforderliche Mindestgröße von 1,63 m deutlich verfehlte. Also schlug sie einen anderen Karriereweg ein, wurde Friseurin und ließ sich in normaler Kleidung sichtbare Tätowierungen stechen, die für den Dienst bei der Polizei ein Hindernis dargestellt hätten.

Doch dann änderten sich die Aufnahmebedingungen. „Mein Vater hat mir die Bewerbungsunterlagen gebracht und gesagt: 'Jetzt hast du kein Problem mehr, das ist deine Chance'“, erinnert sich Strieder. Sie war fest entschlossen, diese zu nützen, ließ sich störende Tätowierungen mit dem Laser entfernen und lernte in nur drei Wochen schwimmen. Andere körperliche Herausforderungen, die bei der Aufnahmeprüfung bewältigt werden müssen, stellten für die sportliche junge Frau, deren Hobbys Bergsteigen, Klettersteiggehen, Inlineskaten, Schneeschuhwandern und Schifahren sind, kein Hindernis dar.


Treibstoffdiebstahl. Nach der Ausbildung in der Polizeischule in Absam versah Strieder in der PI in Niederndorf ihren Dienst. „Das ist eine kleine PI, in der es viele Verkehrsdelikte zu bearbeiten gibt. Nach vier Monaten habe ich den ersten großen Fall bekommen“, so die Inspektorin. Es handelte sich dabei um einen Treibstoffdiebstahl durch einen LKW-Fahrer. Ursprünglich ging man von einer Schadenssumme von rund 7.000 Euro und einer alleinigen Schuld des Fahrers aus.

Strieder stellte sich einen Fragenkatalog für die Einvernahme des Fahrers zusammen und führte mit ihm „ein Gespräch auf Augenhöhe“, wie sie sagt. Sie vermutete, dass es einen Mittäter gab, und versuchte den Fahrer davon zu überzeugen, den tatsächlichen Tathergang zu schildern. Es schien ihr ungerecht, dass nur einer der Täter für den gesamten Schaden zu Verantwortung gezogen werden sollte.

Dass es ihr gelang, das Vertrauen des LKW-Fahrers zu gewinnen, führt Strieder unter anderem auf ihre Erfahrungen zurück, die sie als Kellnerin und Friseurin gemacht hat – beides Berufe, in denen Kunden oft über ihre Sorgen und Probleme sprechen. Sie hat auch selbst erlebt, wie es ist, wenn man mit wenig Geld auskommen muss: „Als Stylistin und Perückenmacherin bekommt man 950 Euro im Monat. Ich weiß, wie viel die Leute für ihr Geld arbeiten müssen.“ Wenig Lohn berechtigt natürlich nicht dazu, diesen auf illegale Weise aufzubessern. Wer das getan hat, sollte aber die Möglichkeit bekommen und auch nutzen, den Schaden wiedergutzumachen.


Geständnis. Diese Ansicht vertrat Strieder gegenüber dem LKW-Fahrer und dem von diesem genannten zweiten Täter, einem Tankstellenbesitzer. Beide waren geständig und erzählten Strieder, wie sich der Betrug abgespielt hatte: Der LKW-Fahrer war bei einer Spedition beschäftigt und wurde von dieser beauftragt, regelmäßig Diesel vom firmeneigenen Tanklager zu einer Tankstelle zu transportieren. Er legte allerdings bei 111 Fahrten einen Zwischenstopp bei einer anderen Tankstelle ein, wo er in Summe 774.910 Liter Diesel in den dortigen Tankstellentank füllte. Den Rest lieferte er beim rechtmäßigen Empfänger ab, von dem er sich die Übernahme der gesamten vereinbarten Menge bestätigen ließ. Als Lohn für die abgezweigte Treibstoffmenge durfte der LKW-Fahrer bei seinem Mittäter kostenlos tanken.

Der betrogene Tankstellenbesitzer bezifferte den ihm entstandenen Schaden durch Treibstoffdiebstahl, Transport, Mehrwertsteuer, Gewinnentgang und Verwaltungsaufwand mit ca. 1,7 Millionen Euro. Der beschuldigte Tankstellenbesitzer leistete zwischenzeitlich bereits eine Schadensgutmachung in der Höhe von 1.033.959,56 Euro.

Strieder empfand es als besonders herausfordernd, die arbeitsintensiven Ermittlungen neben dem Streifendienst und der Verkehrserziehung in Schulen zu erledigen, was sich nur durch zahlreiche Überstunden vereinbaren ließ. Froh war sie vor allem über die Unterstützung durch ihre Kollegen und das Landeskriminalamt, haupt­sächlich bei IT- und Wirtschaftsangelegenheiten. Gleichzeitig befürchtete sie, das LKA würde „ihren“ Akt aufgrund der komplexen Ermittlungen und der hohen Schadenssumme übernehmen. Sie glaubte nicht, dass sie ein weiteres Mal einen so großen Fall bekommen würde.


Love Scam. Dazu kam es jedoch sehr bald – und wiederum ließ sich die wahre Dimension des Falls, eines Love Scams, anfangs nicht abschätzen. Bei einem Love Scam spielt ein Betrüger seinem Opfer vor, es zu lieben, und bringt es dazu, ihm wegen erfundener Notlagen Geld zu schicken. Diesmal handelte es sich bei dem Opfer um eine 55-jährige an Krebs erkrankte, von ihrem Ehemann getrennt lebende Frau. Sie hatte über eine Dating-Plattform einen angeblich aus Salzburg stammenden, im Ausland stationierten Soldaten kennenlernt, der sich „Alex“ nannte.

Zuerst erklärte „Alex“, Geld zu brauchen, um ein Paket mit seinen Wertsachen an seine neue Liebe zu schicken, dann sollten Kosten für die Ausstellung von Dokumenten und ein Flugticket beglichen werden. Das Opfer schickte dem Betrüger zuerst erspartes, danach von Freunden ausgeliehenes Geld und hob auch eine höhere Summe vom ehemaligen gemeinsamen Konto mit ihrem Ehemann ab – insgesamt 250.000 Euro. Ihr Ehemann, der von der Online-Liebschaft seiner Frau wusste, erstattete spät abends Anzeige bei der Polizei.

Strieder besuchte gemeinsam mit ihrem Streifenpartner die Frau zu Hause und erfuhr, warum „Alex“ wiederum Geld benötigte. Er behauptete, am Flughafen Frankfurt von der Polizei festgehalten und nur gegen Kaution freigelassen zu werden. Strieder schildert, wie sie die Angelegenheit durch einen Anruf bei der Flughafenpolizei in Frankfurt klären konnte: „Ein Polizist hat der Frau am Telefon erklärt, dass niemand am Flughafen festgehalten wird. Er hat gesagt: 'Mensch, das ist doch Quatsch. Nehmen Sie Abstand davon.' Daraufhin ist die Frau in Tränen ausgebrochen. Sie hat verstanden, dass sie einem Betrüger aufgesessen ist.“


Erkenntnis. Den Love Scam bezeichnet Strieder als emotionalen Miss­brauch. Der Täter habe sich nach Eintreffen der verlangten Geldbeträge als – verbal – besonders liebevoll gezeigt und damit eine immer stärkere Abhängigkeit erzeugt. Für die Frau, die allein lebt, während ihr Ehemann mittlerweile eine Freundin hat, war die Erkenntnis ein schwerer Schlag, statt geliebt betrogen worden zu sein. „Sie hat mir von ihrem Leben erzählt, mir Fotos gezeigt. Das war nicht irgendein Opfer für mich, sondern ein Mensch. Ich habe gehofft, dass das irgendwie gut ausgeht“, schildert Strieder.

Sie überzeugte die Frau davon, dass sie die Polizei unterstützen könne, den Täter ausfindig zu machen. Die Betrogene übergab Strieder eine Kopie sämtlicher Chats mit „Alex“ und führte den Kontakt mit ihm unter Anleitung Strieders so lange fort, bis die Polizei genug Informationen hatte, um den – oder, genauer gesagt, die – Täter zu überführen. Im Zuge einer fingierten Geldübergabe konnten drei Beschuldigte in Tirol festgenommen werden. Gegen einen Tunesier wurde anschließend U-Haft verhängt. Die beiden anderen Beschuldigten wurden auf freiem Fuß angezeigt. Durch die Auswertung der sichergestellten Handys konnte ein weiterer Beschuldigter, ein in Deutschland lebender Ghanaer, ausgeforscht werden. Dieser wurde aufgrund eines von der StA Innsbruck erlassenen EU-Haftbefehles in Deutschland festgenommen und anschließend an Österreich ausgeliefert. Das Gericht verhängte über ihn die U-Haft.


Zukunftspläne. Mittlerweile hat Strieder von der PI Niederndorf in die PI in Sillian gewechselt, die wesentlich näher ihrer Heimat liegt. Auf ihre Pläne für die Zukunft angesprochen, antwortet sie: „Mein Traum ist es, in eine Kriminalgruppe zu kommen. Als Polizist merkt man mit der Zeit, welche Fälle einem liegen, bei mir ist es Betrug. Auch Recherchen im Internet sind spannend, z. B. wenn man am Anfang nur eine Telefonnummer oder eine Kontonummer kennt.“

Für Mair sind die Vorstellungen Strieders durchaus realistisch: „In Tirol gibt es gute Möglichkeiten, sich in der Kriminaldienstgruppe zu etablieren, Karrierechancen sind gegeben.“ Es sei wichtig, bei jungen Polizisten die Begeisterung für ihren Beruf zu wecken und zu erhalten, dann würden sie gerne bis zu ihrer Pensionierung bei der Polizei bleiben.








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