top of page
  • Alfred Ellinger

Befund und Gutachten

Die Rolle der Sachverständigen im Gerichtsverfahren wird immer bedeutsamer. Staatsanwälte und Richter sind Spezialisten auf dem Gebiet des Rechts, auf anderen Gebieten wie etwa der Medizin, der Biologie, der Technik, der Psychologie usw. fehlt ihnen die erforderliche Fachkompetenz.



Zur Aufklärung und Beurteilung vieler Sachverhalte, sowohl im Zivil- als auch im Strafverfahren, benötigt das Gericht die Hilfe von Sachverständigen, die im Gerichtsverfahren Befund und Gutachten erstatten. Der „Befund“ ist ein, für die Entscheidung des Gerichts, wesentlicher Teil des Gutachtens. Hier werden vom Sachverständigen beweiserhebliche Tatsachen festgestellt. Das „Gutachten“ stellt dann die Schlussfolgerungen des Gutachters aus den Ergebnissen der Befundaufnahme dar. Das Sachverständigengutachten ist im gerichtlichen Beweisverfahren aber dennoch nur ein, wenn auch besonders wichtiges, Beweismittel und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung.

Das Bundesministerium für Justiz führt für alle nur denkbaren Fachbereiche Sachverständigenlisten. In solch eine Liste werden integre Personen, die das für das jeweilige Fach erforderliche, meist umfangreiche Fachwissen (z.B. durch ein Studium oder spezielle Ausbildung) und Berufserfahrung nachweisen können, eingetragen.


Haftung. Der Hauptverband der allgemein beeideten und zertifizierten Sachverständigen hat allgemeine Verhaltensgrundsätze und Richtlinien für die erforderlichen Qualifikationen und deren Feststellung erlassen. Beeidet wird der Sachverständige schließlich von den jeweiligen Präsidenten der Landesgerichte für deren Sprengel. Der Sachverständige haftet für die Qualität seiner Expertise und er muss auch eine entsprechende Haftpflichtversicherung nachweisen. Es ist also gar nicht so einfach „gerichtlich beeideter Sachverständiger“ zu werden.

§ 125 StPO definiert den „Sachverständigen“ als eine Person, die auf Grund besonderen Fachwissens in der Lage ist, beweiserhebliche Tatsachen festzustellen (Befundaufnahme) oder aus diesen rechtsrelevante Schlüsse zu ziehen und sie zu begründen (Gutachtenserstattung).

§ 126 StPO normiert:

(1) Sachverständige sind zu bestellen, wenn für Ermittlungen oder für Beweisaufnahmen besonderes Fachwissen erforderlich ist, über welches die Strafverfolgungsbehörden durch ihre Organe, besondere Einrichtungen oder bei ihnen dauernd angestellte Personen nicht verfügen. ...

(2) Als Sachverständige sind vor allem Personen zu bestellen, die in die Gerichtssachverständigen- und Gerichtsdolmetscherliste (§ 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die allgemein beeideten und gerichtlichen zertifizierten Sachverständigen und Dolmetscher – SDG, BGBl. Nr. 137/1975) eingetragen sind. Werden andere Personen bestellt, so sind sie zuvor über ihre wesentlichen Rechte und Pflichten zu informieren. ...

(2c) Bei der Wahl von Sachverständigen oder Dolmetschern und der Bestimmung des Umfangs ihres Auftrags ist nach den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit vorzugehen.

(3) Sachverständige sind von der Staatsanwaltschaft, für gerichtliche Ermittlungen oder Beweisaufnahmen (§§ 104, 105) und für das Hauptverfahren (§ 210 Abs. 2) jedoch vom Gericht zu bestellen. ...

(5) Im Ermittlungsverfahren hat der Beschuldigte das Recht, binnen 14 Tagen ab Zustellung (Abs. 3), Kenntnis eines Befangenheitsgrundes oder Vorliegen begründeter Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen einen Antrag auf dessen Enthebung zu stellen, er kann auch die Bestellung im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahme verlangen und eine andere, nach den Kriterien der Sachkunde (Abs. 2) besser qualifizierte Person zur Bestellung vorschlagen. Will die Staatsanwaltschaft dem Begehren auf Umbestellung keine Folge geben oder wurde gerichtliche Beweisaufnahme verlangt, so hat sie den Antrag unverzüglich samt einer Stellungnahme dem Gericht vorzulegen. Wurde der Sachverständige durch das Gericht bestellt, so entscheidet es über einen Antrag nach dem ersten Satz mit Beschluss.

§ 127 StPO normiert:

(1) Sachverständige und Dolmetscher haben Anspruch auf Gebühren nach dem Gebührenanspruchsgesetz 1975. ...

(2) Sachverständige haben den Befund und das Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln ihrer Wissenschaft oder Kunst oder ihres Gewerbes abzugeben. ...

Soweit das rechtliche Regelwerk für das Strafverfahren. Für das Zivilverfahren finden sich die wesentlichen Regeln in den §§ 351 ff ZPO.


Kriminaltechnik. Kommt es zu einer Straftat, ist es nach erforderlichen Rettungsmaßnahmen durch Rettungsdienste und Feuerwehren, die Polizei, die gerufen wird. Häufig beginnt dann die Tatortarbeit. Die Spuren eines Verbrechens müssen akribisch gesichert und dokumentiert werden. Eigene Tatortgruppen sind dann im Einsatz und dann ist auch immer häufiger die Kriminaltechnik gefragt.

Im Bundeskriminalamt ist die Abteilung 6 (Forensik und Technik) eingerichtet, eine Abteilung, besetzt mit Spezialisten aus verschiedenen Fachgebieten, die traditionell viel beschäftigt sind und aus meiner Erfahrung hervorragende Arbeit leisten. Aber den „Gerichtsmediziner“ oder häufig auch den „Waffen- und Schießsachverständigen“ können sie nicht ersetzen.

Nur um ein Beispiel zu nennen: Bei der Verwendung militärischer Munition etwa – diese ist mit einem für die Umwelt weniger gefährlichen Pulver geladen – stößt die Kriminaltechnik des Innenministeriums an ihre Grenzen, weil einfach die hierfür erforderliche technische Ausstattung nicht vorhanden ist.

Man denke nur an den jüngsten tragischen Fall, bei dem ein Wachsoldat von seinem Vorgesetzten erschossen wurde. In solch einem Fall, bei dem auch der Sachverhalt nicht völlig klar war, sollte zweifellos ein gerichtlich beeideter, unabhängiger Sachverständiger beigezogen werden. Dies gilt auch bei einem Schusswaffengebrauch der Exekutive – es gab bedauerlicher Weise mehrere solche Fälle in der letzten Zeit. Hier gilt es auch in der Öffentlichkeit eine schlechte Optik zu vermeiden; Schlagwort: „Die Polizei untersucht sich selbst und stellt ‘Persilscheine’ aus“.

Wie bereits ausgeführt, liegt die Entscheidung und Verantwortung ob ein Sachverständiger bestellt wird oder nicht, bei der Staatsanwaltschaft. Natürlich hat der Staatsanwalt bei seiner Entscheidung den oben angeführten § 126 Abs. 2c StPO – Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit – zu berücksichtigen, doch das Interesse der Wahrheitsfindung muss deutlich im Vordergrund stehen.


Die Anordnungen der Staatsanwälte, wie ich aus Sachverständigenkreisen immer häufiger höre, offenbar aus Kostengründen keinen Sachverständigen beizuziehen oder auf eine Obduktion zu verzichten, weil der Sachverhalt angeblich ohnehin klar ist, erscheint in so manchem Fall äußerst fragwürdig. Gelegentlich leidet die Wahrheitsfindung darunter, manchmal wird es unter dem Strich teurer, wenn ein Sachverständiger in der Hauptverhandlung Versäumtes nachholen muss und manchmal werden Strafverfahren auch unnötig verzögert. Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Holczabek war nach dem Tod seines Lehrers, Univ.-Prof. Dr. Leopold Breitenecker, wohl der Doyen der europäischen Rechtsmedizin. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie der damals bereits emeritierte Univ.-Prof. Holczabek anlässlich einer Tagung, auf der auch über die Einschränkung von sanitätspolizeilichen und gerichtlichen Obduktionen diskutiert wurde, vom Rednerpult in das Publikum donnerte: „Wären die Gräber all jener beleuchtet, denen eine natürliche Todesursache bescheinigt wurde, die aber in Wahrheit ermordet wurden, unsere Friedhöfe würden nachts in hellem Licht erstrahlen!“


„Natürlicher Tod“ war Mord. Ich selbst kann mich auch gut daran erinnern, wie dank eines aufmerksamen Kriminalbeamten im letzten Moment ein Mord geklärt werden konnte, Die Leiche einer 82jährigen Frau, deren natürlicher Tod (Herzversagen) vom Amtsarzt festgestellt worden war, war bereits zur Beerdigung freigegeben, als mich während meines Journaldienstes ein aufmerksamer und gewissenhafter Kriminalbeamter anrief, der nach der Auffindung der Leiche durch den Enkelsohn in der Wohnung der betagten Dame war, um mir mitzuteilen, dass er Bedenken bezüglich des Todes der alten Dame habe. Die Auffindungssituation, die Nervosität und widersprüchlichen Angaben des Enkelsohnes hatten ihn misstrauisch gemacht. Ich beschlag­nahmte die Leiche und ordnete eine Obduktion an. Die alte Dame war vergiftet worden. Der Enkelsohn, der als Erbe eingesetzt war, legte schließlich ein Geständnis ab.

Auch bei Fällen von angeblichem Selbstmord oder erweitertem Selbstmord ist große Vorsicht geboten. Schon des Öfteren ist aus einem vermeintlichen Selbstmord schließlich Mord geworden.

Oder denken sie an den Tod von Karl Ferdinand Freiherr von Lütgendorf, am 9. Oktober 1981 in Schwarzau im Gebirge. Festgestellt wurde, der vormalige Verteidigungsminister habe Selbstmord begangen. Die Gerüchte, Lütgendorf könnte ermordet worden sein, verstummten nicht. Zahlreiche illegale Waffengeschäfte und die Verwicklung in den „Fall Lucona“ wurden Lütgendorf nachgesagt. Als immer mehr Verdachtsmomente auftauchten, die auf einen Mord hinwiesen, wurde letztlich zehn Jahre später die Leiche Lütgendorfs exhumiert und ein gerichtsmedizinisches Gutachten, sowie das Gutachten eines waffentechnischen Sachverständigen eingeholt. Erst diese Gutachten stellten zweifelsfrei den Selbstmord Lütgendorfs fest und beendeten die Spekulationen über seinen Tod.

Durchaus ebenfalls äußerst problematisch erscheint der Verzicht auf Beiziehung eines Sachverständigen oder die ausschließliche Betrauung der Kriminaltechnik des Bundeskriminalamtes, wenn es um einen Schusswaffengebrauch der Exekutive geht. Hier kann sehr schnell der Eindruck entstehen „die untersuchen sich selbst und bestimmen, was herauskommen darf“. Diesem negativen Image sollte die Polizei nur wegen der entstehenden Kosten nicht ausgesetzt werden.







bottom of page